Mittelalterliches gepaart mit modernen Arbeitswerkzeugen: In der Klasse 4b in Breitenlee hat jedes Kind einen Tablet.

Foto: Hendrich

In der Klasse 4b der Volksschule Breitenlee am Rande Wiens herrscht tiefstes Mittelalter. Eine junge Ritterin legt gerade mit Hilfe ihrer Knappinnen ihre schwere Rüstung an: Brustharnisch, Arm- und Beinschienen, Panzerhandschuhe, zuletzt der wuchtige Helm und den Schild. Fertig. Die Reckin ist bereit. Nicht fürs Turnier, sondern fürs Foto, das ihre Mitschülerinnen schneller als ein Streitross schießen: mit einem iPad. Eine Stunde später wird es Teil einer Präsentation zum Thema Rittertum sein, die die Mädchen in ihrer Klasse zeigen.

iPad-Klasse an Montessori-Schule

"Frau Lehrerin, wo hast du die Rüstung her?", fragt ein Bub Barbara Zuliani, die überall gleichzeitig zu sein scheint, um den Kindern zu helfen. "Das ist großes Lehrerinnengeheimnis", antwortet sie und schmunzelt. Kein Geheimnis ist, dass dank ihres Engagements alle 23 Kinder der Montessori-Klasse seit Ende Oktober über ein iPad verfügen können.

Die Vorgeschichte: 2009 richtet Zuliani für Kinder und Eltern ein Klassenblog ein, über das alle Beteiligten auch außerhalb der Schulzeiten kommunizieren können - und davon auch fleißig Gebrauch machen. "Die Eltern haben mehr Einblick in alle Klassen-Aktivitäten, kaum ein Kind vergisst noch etwas."

"Apple Distinguished Educator"-Programms

Aufgrund ihres Erfahrungsberichts über das Blog erhielt die Pädagogin heuer im Frühjahr eine Einladung zur einer Konferenz des "Apple Distinguished Educator"-Programms. Der kalifornische Computerhersteller vernetzt darin weltweit Lehrer, die neue Anwendungen für den Unterrichtsgebrauch entwickeln. In Zuliani wuchs der Wunsch herauszufinden, inwieweit Kinder auf Tablets ihren kreativen Ideen freien Lauf lassen und dabei gleichzeitig gefördert werden können. Für vier Wochen stellte ihr der Hersteller daraufhin fünf Geräte zum Test im Klassenzimmer bereit.
Werk-, nicht Spielzeug

Die Begeisterung, mit der die Kinder mit dem neuen Tool arbeiteten, Möglichkeiten entdeckten und Projekte durchführten, sprach für sich. Die Enttäuschung war groß, als die Tablets wieder zurückgegeben werden mussten. Zuliani steckte den Kopf nicht in den Sand, sondern stellte ihr Forschungsprojekt "Einsatz des iPads im Volksschulunterricht" bei Netidee vor, einem Wettbewerb zur Förderung der Internetnutzung in Österreich - und beeindruckte. Netidee unterstützte ihre Forschungsidee, von dem Geld finanzierte sie die Geräte.

iPad als vielseitiger, aber nicht ständiger Begleiter

Seither ist das iPad vielseitiger, aber nicht ständiger Begleiter im Unterricht. "Manchmal sind es nur fünf Minuten, die wir die Tablets benutzen", sagt Zuliani. Zum Beispiel, um mit der App "Skill Builder Spelling" aktuelle Lernwörter zu üben. Oder wer als Erster mit seinen Aufgaben im Mathematikbuch fertig ist, kontrolliert diese mit dem Taschenrechner am iPad. Besonders beliebt ist "Comic Life", mit dem die Kinder für den Sachunterricht schon zahlreiche kleine Geschichten verfasst und illustriert haben.

Kein Wunderding, aber höherer Lernerfolg

Selbst bei den Buchstabentagen der Taferlklassen der Volksschule Breitenlee sind zwei vom Elternverein angeschaffte iPads schon beliebtes Werkzeug: Auf der berührungsempfindlichen Oberfläche zeichnen die Schüler mit ihren Fingern die Zeichen nach. Wer sich nicht vorstellen kann, wie die Tablet-Flunder die Kreativität und Medienkompetenz der Schüler und Schülerinnen hebt, wird dies in einer Masterarbeit nachlesen können, an der die Lehrerin in ihrer Freizeit arbeitet. "Das iPad ist kein Wunderding", sagt Zuliani, "aber es gibt US-Studien, die belegen, dass mit dem Gerät der Lernerfolg um 70 Prozent höher ist."

Julia und ihre Gruppe sind mit der Online-Präsentation der Kleidung der Ritter fast fertig. "Wenn etwas mit Rot unterlegt ist, dann weiß ich gleich, dass ich was falsch gemacht habe", sagt sie. "Frau Lehrerin, die Burg wird angegriffen, schreibt man das ,angegriffen' da groß?", tönt es aus einer anderen Ecke.

Das Krux mit dem Internet

Mittelalterlich mutet auch die schulische Internet-Infrastruktur an, die Zuliani zur Verfügung steht. "Es dauert oft sehr lang, bis die zwei Computer hochgefahren sind, die uns vom Stadtschulrat zur Verfügung stehen, und die Netzverbindung steht." Ein drahtloses Netzwerk steht nicht zur Verfügung. Sie nutzt daher ihr eigenes Handy als Hotspot, in dem jeweils fünf Schüler gleichzeitig surfen können. Jetzt hat die rührige Lehrerin auch dafür eine Lösung gefunden: Mobilfunker "3", dem sie von ihren Nöten berichtete, stellt ihrer Klasse einen drahtlosen Internetzugang und Hotspot für unlimitierten Zugang zwei Jahre lang zur Verfügung. Weihnachten ist da. (DERSTANDARD/Printausgabe, Karin Tzschentke, 24.12.2011)