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Die Schweiz habe immer wieder Zeiten großer Unsicherheit erlebt, doch sei es immer gelungen, mit Zivilcourage Wege für gute Lösungen zu finden: Was die neue Bundespräsidentin den Eidgenossen in ihrer Neujahrsbotschaft, auch mit Blick auf den erwarteten Konjunktureinbruch, zu sagen hatte, taugt auch gut zur Beschreibung ihres eigenen Politikverständnisses wie ihrer politischen Karriere.

Diese Karriere wiederum bestätigt und widerlegt zugleich die vom Ausland mitunter belächelte Schweizer Konsensdemokratie. Widmer-Schlumpf repräsentiert im siebenköpfigen Bundesrat, der Regierung, eine Partei, die nur neun der 200 Nationalratssitze innehat. Zur Bundespräsidentin für das Jahr 2012 und damit zur Nachfolgerin der Sozialdemokratin Micheline Calmy-Rey gewählt wurde sie von der Bundesversammlung (National- und Ständerat) hingegen mit 174 von 239 gültigen Stimmen oder knapp 73 Prozent.

Bei der Nationalratswahl im Oktober hatte Widmer-Schlumpfs Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) 5,4 Prozent der Stimmen erreicht. Ein Gutteil davon kam offenbar von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die mit 26,6 Prozent zwar weiter klar stärkste Kraft blieb, aber erstmals nach vielen Jahren einen Rückgang (minus 2,3 Prozent) verschmerzen musste - ein deutlicher Dämpfer für ihren rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Kurs auf Bundesebene.

Die heute 55-jährige Juristin und erfahrene Graubündner Kantonalpolitikerin wurde nach der Nationalratswahl 2007 erstmals in den Bundesrat gewählt - gegen den Widerstand der SVP, deren Mitglied sie damals noch war. Sie löste damit SVP-Spitzenmann Christoph Blocher als Justizminister ab. Es folgte die Parteispaltung und die Gründung der BDP.

Im November 2010 wechselte Widmer-Schlumpf ins Finanzministerium. In beiden Ressorts erwarb sie sich (sie ist mit einem Ingenieur verheiratet, Mutter dreier Töchter und seit November 2011 auch Großmutter) durch Sachkompetenz und Pragmatismus großes Ansehen. Ihre Wiederwahl als Regierungsmitglied im vergangenen Dezember war daher logisch - und erneut ein Signal gegen die polarisierende Politik der SVP. Deren Präsidentschaftskandidat, Verteidigungsminister Ueli Maurer, erhielt ganze 32 Stimmen.

"Kräfte bündeln und Stärken nutzen", empfiehlt Widmer-Schlumpf ihren Landsleuten. Sie selbst hat vorgemacht, wie das geht. (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 3.1.2012)