Sichtbar, hörbar, streitbar: Christian Ide Hintze.

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Wien - In der Rubrik "Einflüsse" führt Christian Ide Hintze auf seiner Homepage www.ide7fold.net unter anderem die Gedichte Sapphos, die "Seherbriefe" Rimbauds, Sprechakttheorien von John Searle, die Songs von Dylan, die Anonymität von Bahnhöfen, Begegnungen mit Friederike Mayröcker, sowie die Gestik der Kubaner und das vietnamesische Wasserpuppentheater an.

Und 2002 - zum zehnjährigen Bestehen der von ihm gemeinsam mit Sonja Moor, Christian Loidl, Christine Huber und Gertraud Marinelli-König gegründeten Schule für Dichtung in Wien, deren Leiter er seit 1992 war - postulierte Hintze, eine Dichterschule habe den Organisationsprinzipien eines Gedichtes zu folgen.

Die Forderung nach Offenheit, Überschreitung der Normen und nach unablässiger Transformation legte Hintze nicht nur an Literatur und Dichtung an, auch sein Leben folgte dem Organisationsprinzip eines poetischen Aktes.

1953 in Wien Ottakring geboren, in Salzburg-Taxham und Laßnitzhöhe bei Graz aufgewachsen, absolvierte Hintze die Matura in Wien-Landstraße. Anschließend arbeitete er, bevor er als Straßensänger durch halb Europa zog, als Reinigungskraft, Prospektverteiler und Schlüsselwärter bei den Olympischen Spielen in München. Nach einem Studium der Theaterwissenschaft in Wien geriet er als Flugzettelpoet und "Dichter der Straße" in zahlreiche Konflikte mit der Polizei und handelte sich Anzeigen wegen "Behinderung des Fußgeherverkehrs" und "Störung der öffentlichen Ordnung" eint. Sichtbar, hör- und streitbar blieb er weiterhin.

Auch in den 1980er-Jahren, als er mit seiner aus akustischen, visuellen, literarischen und performativen Elementen bestehenden "expanded poetry" an Festivals in München, Ljubljana, Tokio und Rio de Janeiro für Aufsehen sorgte. Eine Einladung durch den US-Beat Poeten Allen Ginsberg, den "Erzengel der schönen Dissidenz" (Hintze), an die "Jack Kerouac School of disbodied Poetics" in Bolder erwies sich insofern als folgenreich, als Hintze dort 1990 die Organisationsprinzipien einer "poetry school" studierte.

So breit Hintzes Poesiebegriff war, so breit war auch das Spektrum derer, die an "seiner" Wiener Schule für Dichtung unterrichteten: H.C. Artmann, oder Wolfi Bauer, oder Gert Jonke, oder Blixa Bargeld, oder Nick Cave, um nur einige wenige zu nennen. Und Falco, ein alter Weggefährte Hintzes, der sich 2004 den Spaß erlaubte, an der Vorausscheidung zum Song Contest teilzunehmen, intonierte am Lehrerpult der Schule Lautgedichte: "Ka rua, ka rua, ka rua".

Jenseits der Sprache 

Nicht nur als Schulleiter, auch in seinen eigenen Arbeiten beschäftigte sich Hintze weiterhin mit allem, "was sich tut in der Sprachkunst". Früh schon hatten ihn die die Übergänge zwischen analoger und digitaler Technik interessiert. Wobei seine zuweilen spielerische Suche nach Ausdrucksformen jenseits von Sprache und Schrift immer etwas Anarchisches behielten.

In den letzten Jahren perfektionierte Hintze seine "7-dimensionale Poetik" (7fold poetics), die auf sieben verwobenen Ebenen - akustisch, visuell, literarisch, performativ, interaktiv, infrastrukturell, instruktiv - sein Werk erschließt.

Dazu navigierte er weiterhin das "trunkene Schiff Schule für Dichtung" und setzte sich für Autorenrechte ein. In einem Interview sagte Hintze einmal, er hoffe, bevor er sterbe, erkenne man in Österreich endlich, "was man an der Schule für Dichtung eigentlich hat".

Christian Ide Hintze verstarb Ende letzter Woche im 58. Lebensjahr, wie die Schule für Dichtung meldet. Die genaue Todesursache und das exakte Todesdatum sind derzeit noch nicht bekannt. (Stefan Gmünder, DER STANDARD - Printausgabe, 14. Februar 2012)