Lebt in Argentinien, vielleicht auch in Florenz: Autor Christian Kracht auf literarischer Weltreise.

Foto: Frauke Finsterwalder

Wien - Wahrscheinlich hat es so kommen müssen, wie es jetzt kam. Seit seinem Romandebüt Faserland (1995), in dem Christian Kracht, Jahrgang 1966, einen zugedröhnten, betuchten Junior-Ästheten quer durch das Deutschland der Schönen und Leeren fahren ließ, lösen Krachts Bücher zuverlässig eine Diskussion über die Person des Autors aus.

"Bigger than life and twice as ugly" also, wie die Herren Kracht, Blessing, Nickel, von Schönburg und Stuckrad-Barre - man nannte sie damals noch Popliteraten - 1999 in ihrem Gesprächsband Tristesse Royale (1999) meinen. Und bald schon galt Kracht den einen als schnöseliger Dandy, anderen wiederum als Rechtsokkultist. Er lebe, hört man, in Argentinien oder in Florenz - vielleicht.

Auch literarisch befindet sich Kracht auf Weltreise. Seinen Roman 1979 (2001) lässt er zur Zeit der Iranischen Revolution spielen und in Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten (2008) fährt Lenin nicht aus dem Schweizer Exil nach St. Petersburg, sondern macht die bolschewistische Revolution gleich bei den Eidgenossen, die zur Weltmacht aufsteigen. Was offenbar keine gute Idee war, denn Kracht skizziert ein Crash-Europa, in dem seither ein 100-jähriger Krieg tobt.

Erstaunlicherweise wurde der Roman trotz aller aufgesetzten Landserlakonik und Stechschrittromantik für seine "stahlgehärtete Sprache" gelobt und in den Feuilletons wohlwollend aufgenommen. Dafür ging es nun bei Krachts neuem Roman Imperium (Kiepenheuer & Witsch) schon vor dessen Erscheinen rund. Was auch damit zu tun hat, dass sich Kracht dem verminten Gelände der deutschen (Kolonial-)Geschichte zuwendet.

Zunächst blieb es an Deck des Literaturbetriebs allerdings ebenso ruhig wie auf dem Dampfer, der Krachts Hauptfigur August Engelhardt zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Neupommern (heute ein Teil Papua-Neuguineas) im Pazifik schippert. Was anschließend im Roman Imperium geschieht, ist schnell erzählt. Wie der reale August Engelhardt (1875-1919), ein Apothekergehilfe, Vegetarier und Nudist, der aus naheliegenden Gründen das prüde Wilhelminische Deutschland verlässt, schickt sich auch Krachts Romanfigur Engelhardt an, im Pazifik der Utopie des Kokovorismus (er ernährt sich von Kokosnüssen) zu frönen und als Kokosnuss-Apostel einen Sonnenorden zu gründen. Natürlich mit fatalen Folgen: Er stirbt unterernährt, geistig umnachtet und vereinsamt auf seiner Kokosnussplantage. Im Gegensatz zum realen Engelhardt überlebt Krachts Figur, die im Roman vom Philo- zum Antisemiten wird, auch den zweiten großen Krieg. Im neuen, amerikanischen Imperium wird Engelhardt bei Kracht schließlich zum Hot-Dog-Esser.

Ein Platz an der Sonne

Der Roman, zu dem Elfriede Jelinek einen Klappentext beisteuerte, wurde euphorisch besprochen und ob seiner den "Platz-an-der-Sonne-Kolonialismus" auf die Schippe nehmenden Ironie gelobt. Tatsächlich ist der Roman von der Erzählhaltung her avanciert gemacht. Ein allwissender, das Geschehen stets kommentierender Erzähler ist mit allen Wassern gewaschen und wechselt vom Imperfekt im Verlauf des Buches mehr und mehr in die Gegenwartsform. Das Buch endet in einem " immerwährenden Präsens" und thematisiert so - auch - die Wiederkehr des Ewiggleichen.

Und weiter? Dann schrieb der Publizist Georg Diez, ein (ehemaliger?) Verlagskollege Krachts, im Spiegel eine Kritik, in der er Kracht als Edelrassisten, Demokratiefeind und "Türsteher der rechten Gedanken" zu outen versucht. Uninteressant ist Diez' Verriss in jenen Passagen, in denen er Autor mit Erzähler gleichsetzt und Kracht einige Überblendungen der Figur Engelhardt mit einer anderen Person der deutschen Zeitgeschichte - einem Oberlippenbart tragenden gescheiterten Künstler mit Größenwahn - vorwirft. Die anschließende Feuilleton-Diskussion verlief noch fruchtloser als bei den letzten "Skandalen" um Martin Walser ("Auschwitzkeule") und Christa Wolf (Stasi-Mitarbeit), die sich ebenfalls um das Verhältnis von Autoren zu totalitären Systemen drehten.

Interessant wird Diez' Kritik aber in einem zweiten Strang, den er unseligerweise mit der Imperium-Kritik verknüpft. Diez befasst sich mit der bislang unbeachteten 2011 erschienenen Schrift Five Years (Wehrhan Verlag), die den Mailverkehr zwischen Kracht und dem amerikanischen Künstler David Woodward dokumentiert.

Woodward und seine Obsession für totalitäre Ästhetik sind bekannt, so geht es im Mailwechsel unter anderem um die Restauration der Siedlung Nueva Germania, die Ende des 19. Jahrhunderts von einer völkisch orientierten Gruppierung in Paraguay gegründet wurde. Zuweilen tauscht man sich auch darüber aus, wie man die Samen der nordkoreanischen Pflanze Kimjongilia beschaffen könnte. Zu vielem, was Woodward schreibt, schweigt sich Kracht aus, nur einmal - der Amerikaner bietet für Krachts Magazin Der Freund ein Porträt des Holocaustleugners Ernst Zündel an -lehnt Kracht mit der Begründung ab, es handle sich um ein "zionistisches Magazin".

Länger schon kokettiert Kracht mit einer von ihm wahrscheinlich für exzentrisch gehaltenen Anti-Political-Correctness-Haltung. Am Image eines Zeitgeschichte ästhetisierenden Autors hat er mitgebastelt, und es ist erstaunlich, dass er nun sehr "bedrückt" seine Deutschland-Lesereise absagt. Inzwischen hat sich Krachts Verleger Helge Malchow im Spiegel zu Wort gemeldet. Es gelte zu betonen, schreibt er, "dass dieser Erzähler alles ist - nur nicht Christian Kracht." Damit ist über das Niveau der Debatte alles gesagt. (Stefan Gmünder, DER STANDARD/Printausgabe 22.2.2012)