Architekturtheoretiker Jan Tabor warnt, aus einem Juwel-Plenum einen "beliebigen Hörsaal" zu machen

Foto: Cremer

Wien - Im Zuge des Sparpakets soll der Nationalrat von 183 auf 165 Abgeordnete reduziert werden. Die Verkleinerung hat auch Auswirkungen auf die baulichen Gegebenheiten. Das Linzer Büro Heidl Architekten, das 2008 als Sieger aus einem internationalen Wettbewerb für die Sanierung des Fünfzigerjahre-Interieurs hervorging, brütet bereits über den Umbauplänen für den Plenarsaal (der Standard berichtete).

Die Reduktion um 18 Sitzplätze werde keine großen Auswirkungen auf das Projekt haben, sagt Architekt Andreas Heidl im Gespräch mit dem Standard. "In der Nachkriegszeit war das wichtigste Kriterium, dass der Saal irgendwie funktioniert." Doch aus heutiger Sicht gebe es große Defizite, was Bauphysik, Sicherheitsvorschriften, Barrierefreiheit, Akustik und vor allem Versorgung mit Tageslicht betrifft. Trotz all dieser Umbauten werde das optische Erscheinungsbild des Saals bewahrt, versichert Heidl. "Sobald die charakteristische Rückwand im Fernsehen ins Bild kommt, wird sofort klar werden, dass das der Plenarsaal ist. Einziger Unterschied zu heute: Wir werden die Holzverkleidungen lasieren und heller und freundlicher machen."

Kein "lyrisches Vorgehen"

Dennoch: Der Universität für Angewandte Kunst und der Expertengruppe Docomomo Austria, offizielle Beraterin der Unesco für Baudenkmäler der Moderne, ist das siegreiche Projekt, das die Jury seinerzeit als " lyrisches, feines Vorgehen" lobte, ein Dorn im Auge. Die Angewandte stellte im Herbst 2010 eine Studie über den baulichen Zustand des Saals fertig. Während das 170-seitige wissenschaftliche Gutachten fast eineinhalb Jahre lang unter Verschluss gehalten wurde, waren die Studienautoren zur Verschwiegenheit verpflichtet. Vor kurzem stellte Icomos die Studie der Öffentlichkeit vor.

Fazit: Der Plenarsaal zeichne sich durch Detailgenauigkeit und hohe Verarbeitung aus, zitiert Docomomo-Präsident Norbert Mayr. Der geplante Radikalumbau überschreite die Grenzen der akzeptablen Veränderung bei Weitem.

Und Architekturtheoretiker Jan Tabor stellte sogar fest: "Der österreichische Nationalratssaals ist Weltarchitektur. Das ist weder plumper Gewerkschaftsbarock, noch die damals übliche Nazi-Ästhetik. Der Neubauentwurf jedoch sieht aus wie ein beliebiger, billiger Hörsaal in einer Fachhochschule für medizinische Geräte."

"Keine Geheimniskrämerei"

Die Fronten sind verhärtet. Fragt sich nur: Warum gab es zuerst den internationalen Wettbewerb für die Sanierung des Saals - und erst danach den Auftrag zur Erstellung einer Studie? Und warum wurde das Ergebnis so lange geheim gehalten? "Der Vorschlag, den Saal zu analysieren, kam von der Angewandten", sagt ein Parlamentssprecher. "Und nein, wir haben die Studie nicht eineinhalb Jahre zurückgehalten, das war keine Geheimniskrämerei. Es gibt rund 130 verschiedene Expertisen zu diesem Objekt, und das dauert seine Zeit, bis wir alles der Reihe nach veröffentlichen können."

Wie es weitergeht, ist beschlossene Sache. Der Umbau wird nicht nur den Nationalratssaal umfassen, sondern das gesamte Gebäude. "Wir werden demnächst einen Wettbewerb mit Vorqualifikation ausschreiben", heißt es aus dem Parlament. "Wir sind zuversichtlich, dass wir das Baukomitee Ende des Jahres, spätestens Anfang 2013 an Bord haben werden."

Der 17 Millionen Euro teure Umbau des Plenarsaals wird aus diesem Verfahren ausgeklammert. Heidls Projekt wird in die 300 Millionen Euro teure Gesamtlösung miteinbezogen. Ein entsprechender Antrag auf Veränderung wurde im Bundesdenkmalamt nach Auskunft des Parlaments noch nicht eingegeben.(DER STANDARD, Printausgabe, 24.2.2012)