Vater und Tochter: Seit 1999 erarbeiten Kathrin und Lukas Resetarits die Kabarettprogramme gemeinsam.

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DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe Gerechtigkeit

Dass auch Gerechtigkeit dabei ein zentrales Thema ist, erzählen die beiden Andrea Schurian.

STANDARD: Das Thema Gerechtigkeit zieht sich durch all Ihre Kabarettprogramme. Hat sich das Bewusstsein für Gerechtigkeit im Laufe der Jahre verändert?

Lukas Resetarits: Ich glaube, es ist abgestumpft. Schwarz-Blau war diesbezüglich ein Qualitätsschub ins Negative. Es hat eine Bewusstseinsveränderung stattgefunden, eine freche Schamlosigkeit ist in den Vordergrund getreten. Das kommt auch in unserem neuen Programm vor, dass einer sagt: "Ich habe seit 2007 148.000 Leistungen erbracht. Welche genau am 3. April 2008, kann ich nicht sagen, weil ich ja dauernd Leistung erbringe. Aber Sie sehen: Ich kriege Geld dafür. Daher hab ich recht. Ich bin nicht eingesperrt!"

Kathrin Resetarits: Das passiert doch weltweit: Wer Erfolg und viel Geld hat, hat es offenbar verdient. Gerechtigkeitsempfinden wird gleichgesetzt mit Dummheit. Man wird als Idiot abgestempelt.

Lukas Resetarits: Und nun haben sich zwei Vierteklassepolitiker zusammengestritten. Alles ist so kleinlaut gegenüber dem Kapital und der Wirtschaft! Es ist problematisch, wenn die Politik Erfüllungsgehilfe der Wirtschaft ist. Politik muss für die Menschen Regelsysteme aufstellen, aber dazu ist sie nicht mehr imstande.

Kathrin Resetarits: Das ist der Schlüsselsatz: Der Mensch schafft Gerechtigkeit für Menschen! Das neoliberale, halbreligiöse Gerede vom Markt, der sich selber regelt, lässt den Menschen außen vor. Und es ist eine Beleidigung der Religionen! Religion macht Regeln, es gibt Gesetze für das Zusammenleben, der Mensch ist der Bezugspunkt. Das ist der große Unterschied zu den Finanzsystemen.

STANDARD: Religionen schaffen eine gerechtere Welt?

Lukas Resetarits: Der gerechte Gott: Darüber diskutieren wir häufig. Natürlich gibt es keine Schöpfungsgerechtigkeit, darum existieren ja soziale und politische Systeme. Ich bin Agnostiker oder Atheist, die Kathi verteidigt die Religion oft ...

Kathrin Resetarits: ... ohne religiös zu sein. Jedenfalls ist Religion kein Garant für eine gerechtere Gesellschaft ...

Lukas Resetarits: Aber es gibt Strömungen wie die Caritas, deren politische Meldungen und Einmischungen ich nicht missen möchte. Dort, wo die Politik versagt, gibt es die mahnende Stimme der Kirche - allerdings von jenem Teil, der kirchenintern selber unter Druck steht.

STANDARD: Politik versagt, die offizielle Kirche versagt ...

Lukas Resetarits: Und das Gegenmodell zum Kapitalismus hat, das muss man ja auch sagen, leider ebenfalls versagt. Es gibt ein Schreckensgespenst, in Amerika noch mehr als in Europa: Kommunismus! In den USA wird den Leuten ihr auf Kredit gebautes Haus weggenommen. Aber alle sind heilfroh, dass es nicht die Kommunisten gekriegt haben, weil das wäre grauslich. Wenn's die Bank wegnimmt, ist es okay. Aber wenn man zwischen den Ohren ein Hirn hat, muss man alles daran setzen, um eine ausgleichende Gerechtigkeit zu schaffen.

STANDARD: Wie gerecht ist demnach das Sparpaket?

Lukas Resetarits: Die Reichen tragen mit einer befristeten Steuer zur Konsolidierung bei, die anderen unbefristet bis rückwirkend! Den Bausparvertrag hast ja schon vor sechs Jahren abgeschlossen, nun werden dir die Prämien gekürzt. Hämisch wird dir gesagt: "Wennst eine Jahresprämie zahlst und dir selber zwei Watschen runterhaust, darfst aus dem Vertrag aussteigen." Für den Herrn Treichl ist die befristete Reichensteuer ein Lercherlschas. Aber für die kleinen Leute bedeuten zwei-, dreihundert Euro viel!

Kathrin Resetarits: Jetzt müssen die Opfer eines Systems das System erhalten! Es ist eine Machtfrage, sogar in den Medien ist es ein Tabu, die ganz einfache Frage zu stellen: Warum nimmt man's nicht den Gstopften weg, die genug haben und denen es nicht wehtut?

Lukas Resetarits: Und alte Linke wie ich weinen jetzt einer Realwirtschaft nach! Einem ethischen Unternehmertum, das für Arbeitsplätze sorgt und sich um die Fa-milien der Arbeiter Gedanken macht! Anders als der heutige Pseudounternehmer, der nix unternimmt, als das Geld der anderen zu nehmen, und zockt.

STANDARD: Politiker unterscheiden oft zwischen Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit.

Lukas Resetarits: Bei Chancengerechtigkeit denkt derjenige, der den Begriff einsetzt, immer an die eigene Klientel. Chancengleichheit hingegen ist relativ indifferent. Also: Hier ist die Startlinie. Damit aber tatsächlich Chancengleichheit herrscht, zieht man für den Läufer mit den kürzeren Haxen die Startlinie erst zwei Meter weiter vorn.

Kathrin Resetarits: In meiner Schulzeit war Gerechtigkeit anfangs ein Thema. Aber irgendwann gab es einen starken Druck, Konkurrenz wurde das Wichtigste. Wenn man eine gerechtere Welt wollte, war man ein Gutmensch. Und ein Gutmensch war ein Trottel. Worte wie Umverteilung oder Solidarität waren tabu und total uncool.

STANDARD: Ersetzt der Wutbürger den Gutmenschen?

Lukas Resetarits: Stéphane Hessel hat den Schub gegeben, aber mittlerweile ist es ein inflationärer Begriff. Jeder ist ein Wutbürger - vielleicht nur, weil er in Hietzing keinen Parkplatz hat.

Kathrin Resetarits: Eh super, dass es eine Wut gibt! Bloß manchmal hat man das Gefühl, es geht am Wesentlichen vorbei. Es verebbt. Man regt sich mörderisch auf, aber das legt sich dann sofort und konsequenzlos wieder.

STANDARD: "Un Ruhe Stand" klingt nach: Nur nicht Pension!

Lukas Resetarits: Das gilt natürlich nur für einen wie mich, der einen tollen Beruf hat und ihn gern weiter ausübt. Oder für einen Konzernvorstand. Der Kanalräumer wird wohl ebenso wie der Erdarbeiter den Ruhestand vorziehen. Das wäre auch gerecht.

STANDARD: Wie gerecht ist der Generationenvertrag?

Lukas Resetarits: Ungerecht - für die Jungen. Viele arbeiten in Prekariaten, sind Unternehmer, die Politik kümmert sich nicht um sie. Wenn da nicht Opa, Onkeln, Tanten, Eltern helfen, können die sich bei der Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt gar keine Wohnung mehr leisten. Aber die Jungen sind erstaunlich geduldig. Ich verstehe das nicht.

Kathrin Resetarits: Das hat mit dem Kapitalismus zu tun, der uns einbläut, dass wir unseres Glückes Schmied sind. Und mit der Schamgesellschaft: Du fühlst dich schuldig, wenn du nicht mehr Kohle verdienst. Keiner mehr traut sich auf gewisse Rechte zu pochen.

Lukas Resetarits: Meine kühne These im neuen Programm ist Solidarität zwischen den ganz Jungen und den Alten unter Ausklammerung der unter Erfolgsstress stehenden Leading Generation.

STANDARD: Ist Lukas Resetarits ein gerechter Vater?

Kathrin Resetarits: Ja. Aber was ist schon ein gerechter Vater? Meine Schwester und ich haben früh gelernt, Verantwortung für uns zu übernehmen. Das ist gut für unsere Zusammenarbeit: Wir streiten schon auch, sind nicht immer einer Meinung. Gewisse gesellschaftspolitische Aspekte hast du nie so erlebt, und dieses andere Lebensgefühl fließt auch in das Programm ein ...

Lukas Resetarits: ... und so entwickelt sich nie ein Selbstbespiegelungsprogramm. Ich muss meiner Tochter übrigens ein Riesenkompliment machen: Sie ist eine Weltspitzendramaturgin! (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 25./26. Februar 2012)