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Bei Kettenverträgen sind den Beteiligten die Hände gebunden. Nach sechs Jahren befristeten Verträgen muss eine Fixanstellung geboten oder das Dienstverhältnis pausiert werden.

Foto: AP/Matthias Rietschel

Wien - Noch vor Beginn des Sommersemesters wurde der Professor Manfred Füllsack von irritierten Philosophie-Studenten wiederholt mit der immergleichen Frage kontaktiert: Wieso ist das Anschlussseminar, aufbauend auf seine Vorlesung im Wintersemester, nicht im Vorlesungsverzeichnis? Ein technischen Defekt?

Nein, Manfred Füllsack wird sein angekündigtes Seminar an der Uni Wien nicht abhalten. Der Systemwissenschafter hat bereits eine Professur an der Universität Graz angetreten. Nicht, weil man ihn am Wiener Philosophieinstitut nicht wollte - seine Lehre wird dort händeringend benötigt. Und nicht, weil Füllsack, dessen Lebensgefährtin und pflegebedürftige Eltern im Raum Wien leben, aus der Hauptstadt wegwollte.

Der Philosoph wurde Opfer der Kettenvertragsregel. Ein Gesetz, das derzeit viele Wissenschafter heimischer Unis entweder in die Privatwirtschaft, ins Ausland oder die Arbeitslosigkeit treibt.

Die Uni Wien hatte Füllsack stets auf ein Lehrjahr befristet angestellt. Damit solche prekären Arbeitsverhältnisse nicht zum Dauerzustand werden, darf die Uni im sechsten, in manchen Fällen im achten Dienstjahr, keinen weiteren Einjahresvertrag mehr ausstellen: Entweder muss sie dem Lehrenden eine Festanstellung geben oder das Dienstverhältnis für ein Jahr pausieren.

Die Kettenvertragsregelung geht auf das Universitätsgesetz von 2002 zurück. Es basiert auf der 1999 in Kraft getretenen, revidierten Fassung der Europäischen Sozialcharta. Sie wurde damals auch von den Gewerkschaften gefordert: "Die Idee war, dass man nicht so lange in befristeten Arbeitsverhältnissen bleibt", erklärt Karl Reiter, stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrats für das wissenschaftliche Universitätspersonal an der Uni Wien.

Kettenverträge sind kein Spezifikum von Universitäten, sondern in vielen Branchen üblich. Gerade im akademischen Bereich sind sie jedoch problematisch, da Forschung oftmals eine abgesicherte Kontinuität benötigt, die in solchen Strukturen nicht möglich ist. Aus heutiger Sicht ist Reiter mit der Kettenvertragsregelung alles andere als zufrieden: "Die Leute scheiden nach sechs oder acht Jahren für ein Jahr aus, nur damit das Ganze dann wieder von vorne beginnt. Das ist lächerlich."

Politik im Handlungszwang

Laut Reiter leiden unter der mangelnden Sicherheit vor allem ältere Kollegen, die auffällig oft keine Verlängerung ihres Dienstverhältnisses bekommen. Der Betriebsrat sieht die Politik im Handlungszwang und fordert eine Änderung des Universitätsgesetzes.

Bei Manfred Füllsack griff die Kettenvertragsregel bereits letztes Wintersemester. Doch durch eine Sonderregelung können Professoren an jener Universität, an der sie habilitiert haben, für eine geringere Bezahlung weiterunterrichten. So blieb Füllsack an der Uni Wien und bekam für die gleiche Tätigkeit nur einen Bruchteil seines üblichen Gehalts, rund 1000 Euro pro Semester. Ob er nach dem Jahr wieder einen Einjahresvertrag bekommen hätte, konnte ihm niemand am Institut versichern.

"Wir bekommen jedes Studienjahr ein Stundenbudget für die Lehrplanung", sagt Johanna Gaitsch von der Studienservicestelle Philosophie. Ein Teil geht an die Festangestellten, für den Rest bewerben sich Externe.

Externe Lehrbeauftragte im öffentlichen Dienst erhalten für eine zweistündige Lehrveranstaltung 1100 bis 1380 Euro brutto - insgesamt für ein Semester. Da das Stundenbudget der Institute jedoch jedes Jahr gekürzt werden kann, haben Lehrende wie Manfred Füllsack nie mehr als ein Jahr Planungssicherheit und hangeln sich von Semester zu Semester.

All dies bewog den Philosophen dazu, täglich zweieinhalb Stunden im Zug nach Graz zu pendeln. Dass Füllsack eine Vollzeitstelle als Professor bekommen hat, ist dabei die Ausnahme. Mit der Systemwissenschaft bedient er eine Nische, die schwierig zu ersetzen ist. "Meine Kollegen in der gleichen Situation, haben bei weitem nicht das Glück", sagt Füllsack.

Die externen Lehrenden führen mehr als die Hälfte aller Lehrverträge durch. Am philosophischen Institut der Uni Wien betrug der Anteil an externer Lehre im letzten Semester 57 Prozent.

Mario Becksteiner ist auch ein "Externer". Jedoch sei dieser Begriff irreführend, schließlich sind von den circa 6000 wissenschaftlichen Mitarbeitern der Uni Wien knapp die Hälfte Lektoren - also rein dienstrechtlich nichts anderes als Angestellte. Wie Becksteiner sind die meisten gut ausgebildet, jung, motiviert und chronisch unterbezahlt.

Koch im Nebenjob

Der 33-Jährige hat einen Zweitjob als Koch, um sich den Lehrendenberuf am Institut für Politikwissenschaft an der Uni Wien leisten zu können. Weniger als 1500 Euro pro Semester bekommt er für seinen Lektürekurs im Bereich Internationale Politik. Wer mit der Lehre seinen Lebensunterhalt verdienen möchte, muss wesentlich mehr als zwei Semesterwochenstunden unterrichten - was einen wiederum hindert, sich mit Forschung zu beschäftigen. Dabei sind Publikationen das Hauptkriterium für den wissenschaftlichen Werdegang. "Die Lehre zählt de facto nicht für den Karriereweg", sagt Becksteiner.Er engagiert sich in der Interessengemeinschaft "IG Lektorinnen", die seit den Uni-Protesten 2009 auch in den Betriebsrat gewählt wurde. "Auch wenn die politischen Rahmenbedingungen nicht die besten sind, haben die Unis Verantwortung." So pflegen die verschiedenen Universitäten einen unterschiedlichen Umgang in Bezug auf Kettenverträge. In Innsbruck wurden mehrere Betroffene in ein ordentliches Anstellungsverhältnis übernommen. Dieses Semester unterrichtet Becksteiner nicht. Er konzentriert sich auf Forschungsarbeit in Drittmittelprojekten: "Ich wollte auch mal ein bisschen Geld verdienen. Die Lehre ist aufwändig, und man verdient nichts dabei." (Fabian Kretschmer, DER STANDARD, Printausgabe, 8.3.2012)