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Falls eine medikamentöse Therapie erforderlich ist, müssen Analgetika altersentsprechend verabreicht werden.

Wien - Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter Kopfschmerzen. Gaben in Studien Mitte der 1970er Jahren nur 14 Prozent der Kinder und Jugendlichen an, in den letzten sechs Monaten unter Kopfschmerzen gelitten zu haben, ist inzwischen jedem zweiten Kind dieser Schmerzzustand bekannt. Bei Jugendlichen im Alter zwischen elf und 18 Jahren sind sieben Prozent der Burschen und zwölf Prozent der Mädchen von Migräne betroffen.

„Gesicherte Hypothesen, warum Kopfschmerzen immer mehr unter jungen Patienten auftreten, gibt es nicht. Vermutet werden kann, dass ein ungünstiger Lebensstil mit dafür verantwortlich ist", erklärt Çiçek Wöber-Bingöl von der Kopfschmerzambulanz der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie (AKH/MedUni Wien) anlässlich des 16. Internationalen Wiener Schmerzsymposiums. 

Schokolade nicht Schuld

Eine neue Einsicht dürfte die jungen Patienten freuen: „Es ist ein Mythos, dass Lebensmittel wie Schokolade oder Käse Migräne-Attacken auslösen. Diätische Maßnahmen bringen in der Migränebehandlung nachweislich nichts. Von restriktiven Diäten ist sogar abzuraten, weil sie Mangelerscheinungen und Wachstumsstörungen zur Folge haben könnten", so die Expertin.

Als „Triggerfaktoren" für Migräne anerkannt sind Veränderungen im Schlaf-Wach-Rhythmus, zu wenig Trinken, eine verzögerte Einnahme oder ein Auslassen von Mahlzeiten sowie Stress in der Schule, Konflikte in der Familie oder Ängste. Auch Teilleistungsschwächen beim Lesen, Schreiben oder Rechnen können Kopfschmerzen verursachen. 

„Jede gute Therapie setzt beim Erkennen der Triggerfaktoren und der Aufklärung der Patienten und der Eltern an", betont Wöber-Bingöl und betrachtet das Erkennen und Respektieren eigener Grenzen, sowie die Anpassung des Lebensstils als entscheidende Strategie. Medikamente empfiehlt sie sparsam und erst dann einzusetzen, wenn alle anderen Behandlungsmaßnahmen versagen.  

Medikamente als letzte Option

Migräneattacken lassen sich durch Reizabschirmung und eine entspannend-beruhigende Atmosphäre stoppen. Bei kleineren Kindern helfen oft wenige Stunden Schlaf oder aber eine vorgezogene Nachtruhe. „Wenn die Migräneattacke innerhalb von einer halben Stunde von selbst abklingt oder durch Hinlegen bzw. Schlafen hinreichend ausgeschaltet werden kann, sollte auf ein Analgetikum verzichtet werden. Bei Spannungskopfschmerzen können Entspannungstechniken Linderung bringen", weiß Wöber-Bingöl.

Falls doch eine medikamentöse Therapie indiziert ist, sollten Analgetika in einer altersentsprechenden und ausreichend hohen Dosierung verabreicht werden. Schmerzmittel dürften allerdings maximal zweimal pro Woche eingenommen werden. „Eltern müssen Kindern einen sorgsamen Umgang mit Medikamenten vermitteln. Besser ist, ihnen alle anderen Möglichkeiten zu zeigen, wie sie den Schmerz vermeiden oder in den Griff bekommen können - zum Beispiel, dass es hilft, öfter kleine Pausen zu machen, rechtzeitig aufzustehen und ins Bett zu gehen oder es mit dem regelmäßigen Essen und Trinken ernst zu nehmen", so die Kopfschmerzexpertin. Eine pharmakologische Migräne-Prophylaxe sei nur bei einem kleinen Teil der Kinder erforderlich.

Eine homöopathische Behandlung von Migräne oder Kopfschmerzen sei nicht empfehlenswert: „Erstens konnte in kontrollierten Studien keine über den Plazebo-Effekt hinausgehende Wirkung in der Kopfschmerzbehandlung bei Kindern und Jugendlichen bewiesen werden. Zweitens wird der Griff zum Medikament eingeübt, der unter Umständen eine spätere unkritische Einnahme von Schmerzmitteln fördert. Wenn schon ein Medikament sein muss, dann eines, das auch eine belegte Wirkung besitzt, wie z.B. Flunarizin bei Migräne", unterstreicht die Expertin.

Ausführliche Anamnese

Viele Eltern machen sich zurecht Sorgen, wenn ihr Kind wiederkehrend unter Kopfschmerzen leidet und befürchten eine Entzündung oder gar einen Tumor. Trotz der modernen Möglichkeiten, mittels MRT auf Nummer sicher zu gehen, steht nach wie vor ein ausführliches Anamnesegespräch im Vordergrund. „Der technische Fortschritt wird uns auch in Zukunft nicht der Aufgabe entbinden, alle Details zu erheben, um effektiv helfen zu können. Für das Leitsymptom Kopfschmerz gibt es keine Biomarker, wir müssen daher die möglichen Auslöser identifizieren", soWöber-Bingöl. 

Nicht zögern sollten Eltern den Kopfschmerz ihres Kindes medizinisch abzuklären, wenn Kopfschmerzen, die sich erstmals manifestieren, besonders heftig ausfallen, ausschließlich nachts auftreten, am Hinterhaupt lokalisiert sind und/oder fortschreitend zunehmen. Die Konsultation eines Arztes empfiehlt sich auch, wenn sich bestehende Kopfschmerzen markant verändern, ausgeprägte oder ungewöhnliche Begleitsymptome auftreten oder sich die Beschwerden selbst bei gängigen Medikamenten nicht bessern. „Diesen Symptomen könnten virale Infekte zugrunde liegen. Sehr selten aber doch werden sie von einer bedrohlichen Erkrankung wie einer bakteriellen Meningitis oder einem Gehirntumor ausgelöst. Lieber einmal übervorsichtig reagieren als etwas Wesentliches übersehen", ergänzte die Expertin abschließend. (red, 9.3.2012)