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In der Sahelzone bahnt sich eine Hungerkatastrophe ungeheuren Ausmaßes an. Elf Millionen Menschen haben kaum Nahrung.

Foto: Reuters/Gnago

Niamey - Der Zweck der Reise in den Niger bestand für Andrea Wagner-Hager eigentlich darin, zu koordinieren und zu organisieren. Dennoch wird die Geschäftsführerin von CARE Österreich Eindrücke mit nach Hause nehmen, die sie so schnell nicht vergessen wird. "Die kommenden Monate werden entscheidend", sagte sie. An ein ähnliches Szenario wie im vergangenen Jahr - kaum Regen, katastrophale Ernte - wagt sie gar nicht zu denken. Denn schon jetzt hungern in einer der ohnehin unwirtlichsten Gegenden der Erde elf Millionen Menschen.

Wagner-Hager hat Erfahrung, sie weiß mit schwierigen humanitären Situationen umzugehen. Sie checkt Hilfsprojekte und Ernährungsprogramme, sie vernetzt und evaluiert - und sie muss zusehen, dass Geld in die Kassen ihrer NGO fließt. Doch die vergangenen fünf Tage haben Spuren bei ihr hinterlassen. Nicht Resignation, nein, dann hätte sie den falschen Beruf gewählt, aber so etwas wie Fassungslosigkeit macht sich breit. "Man fragt sich oft, wie hier überhaupt Menschen leben können." Die Sahelzone ist ein riesiger, gnadenloser Backofen, in der es kaum Wasser, dafür jedoch Sandstürme zur Genüge gibt. Und wenn man auf die Regenzeit hofft, die zwischen Mai und August fällt und von der alles abhängt, dann hofft man nicht auf Wolkenbrüche, die das Land kräftig durchweichen, sondern auf jene paar Tropfen, die über Ernte oder Missernte, also über Leben oder Tod entscheiden.

Kinder mit Hungerbäuchen

"Ich habe alte Frauen getroffen, die bis zur nächsten Wasserstelle zweieinhalb Stunden zu Fuß gehen müssen, und das in dieser Gluthitze." Wagner-Hager erzählt aber auch von Klimawandel, von einer sich ständig ausbreitenden Wüste, von Bevölkerungsdruck, von Flüchtlingen aus Mali, die nun ins Land drängen, und Kindern mit Hungerbäuchen. Man habe diesmal extra früh gewarnt, um das Schlimmste zu verhindern. Soll in etwa heißen: dass die Welt wieder einmal auf Afrika vergisst. Schätzungen des World Food Program (WFP) zufolge werden mehr als eine Milliarde US-Dollar benötigt, um eine wirkliche Katastrophe abzuwenden. Derzeit, so Wagner-Hager, sei es "nur" bzw. "noch" eine Krise.

Doch für Wortklaubereien hat man im Niger nicht viel übrig: "Überall gehen langsam die Vorräte zur Neige", warnt die CARE-Geschäftsführerin. Ein Indikator dafür, dass die Lage ernst ist: "Die Menschen beginnen bereits das Saatgut zu essen." Die Speicher sind leer, die Kräfte aufgebraucht. Und die Viehzüchter haben sich von der Hungerkatastrophe im Jahr 2010 noch nicht erholt. "Der Niger schlittert von einer Krise in die andere", berichtet Wagner-Hager aus einem Land, in dem sogar in guten Zeiten die Menschen mangelernährt sind und maximal einmal am Tag zu essen haben, weil es außer Getreide, Mais, Zwiebel und - mit viel Glück - ein bisschen Fleisch eigentlich nichts gibt.

Entscheidende Phase

Nicht nur, weil das bange Warten auf die Regenzeit längst begonnen hat, tritt man nun in eine entscheidende Phase ein. In den kommenden drei bis sechs Monaten, vielleicht schon früher, wird feststehen, ob es bei der Krise bleibt oder ob eine Hungerkatastrophe ungeahnten Ausmaßes anbricht. Deshalb werden auch die Appelle von Wagner-Hager eindringlicher: "Die Geldgeber müssen jetzt reagieren." Und damit sind wohl nicht nur die Spender gemeint. (APA, 26.3.2012)