Der unabhängige Staat Azawad, den die Tuareg im Norden Malis am Freitag ausgerufen haben, dürfte sich aller Voraussicht nach als Totgeburt erweisen. Alle wichtigen Akteure - Nachbarstaaten, die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, die Afrikanische Union, EU und die Ex-Kolonialmacht Frankreich - haben sofort abgewunken. Wie will man so einen Staat machen, zumal die Region wirtschaftlich als nicht überlebensfähig gilt? 

Die Gründe für die Ablehnung liegen nicht so sehr in Mali selbst, sondern an dem Signal, das von der Unabhängigkeit ausgehen könnte. Schon im Falle des Südsudan war befürchtet worden, dass sich separatistische Bewegungen in anderen afrikanischen Staaten ermutigt fühlen könnten, sich abzuspalten - und damit womöglich die Stabilität des ganzen Kontinents infrage gestellt werden könnte. Die kolonialen Grenzen gelten in Afrika als unantastbar. 

Dennoch könnte sich die Unabhängigkeitserklärung für die Tuareg als positiv erweisen. Die Karten sind neu gemischt. Schon mit den Waffen und dem Geld aus Libyen hat sich ihre Ausgangsposition im Konflikt mit der Regierung in Bamako grundlegend geändert, die Unabhängigkeitserklärung ist dabei ein weiterer Faktor. Ihr Gegenüber ist nach dem Militärputsch so geschwächt wie nie. Darin könnte die Chance zu wirklichen Verhandlungen liegen, um die lange wirtschaftliche und politische Benachteiligung der Nordregion und ihrer Bewohner zu beenden.
 (Julia Raabe, DER STANDARD, 7./8./9.4.2012)