"Es wird immer wieder Sportler geben, von denen man lediglich glaubt, dass sie gesund wären."

Foto: Hintringer Privat

Wien – Rund 8.000 Menschen haben in einer Trauerfeier Abschied von Piermario Morosini genommen. Ein struktureller Herzdefekt gilt als wahrscheinlichste Ursache für den Tod des Spielers des italienischen Zweiligisten AS Livorno, sowohl ein Herzinfarkt als auch ein Aneurysma wurden ausgeschlossen. Immer wieder brechen Profis am Fußballplatz tot zusammen. Über die möglichen Ursachen sprach der Kardiologe Florian Hintringer von der Medizinischen Universität Innsbruck mit Philip Bauer.

derStandard.at: Welchen speziellen Risiken ist das Herz eines Profifußballers ausgesetzt?

Hintringer: Eigentlich keinen gegenüber einem Hobbysportler. Zumindest sofern er seinen Sport seriös ausübt und nicht zu Dopingmitteln greift. Aber selbst ein gut gedopter Tour-de-France-Teilnehmer ist gesundheitlich weniger gefährdet als ein überambitionierter und unkontrolliert dopender Hobbysportler.

derStandard.at: Profisport und hartes Training sind also für das Herz nicht schädlich?

Hintringer: Sicherlich nicht in dem Sinn eines plötzlichen Herztodes, wie er nun in der Serie B passiert ist. Das ist auszuschließen. Wenn aber jemand an einer bis dahin nicht erkannten Herzerkrankung leidet, kann sich diese durch die hohe Kreislaufbelastung manifestieren, bis hin zu einer tödlichen Rhythmusstörung.

derStandard.at: Welche Ursachen kann der plötzliche Herztod haben?

Hintringer: Da gibt es einerseits die primären Rhythmus störungen, dazu zählt zum Beispiel das WPW-Syndrom. Oder auch sogenannte Ionenkanalerkrankungen. Diese Leiden spielen sich rein auf Rhythmusebene ab, hier sieht man in einer Bildgebung keine strukturelle Veränderung am Herzen. Daneben gibt es viele strukturelle Änderungen, wie zum Beispiel die hypertrophe Kardiomyopathie, hier kommt es zu einer starken Zunahme der Muskelmasse am Herzen. Dadurch arbeitet das Herz schlechter, dies kann Rhythmus störungen begünstigen. Auch die arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie kommt in Frage, die tritt interessanterweise in Norditalien häufiger auf.

derStandard.at: Können Sie all diese Erkrankungen in einer Untersuchung feststellen?

Hintringer: Das WPW-Syndrom sehe ich schon im normalen Elektrokardiogramm. Hier verfügen wir also über eine leistungsfähige und billige Screeningmethode. Auch eine hypertrophe Kardiomyopathie macht sich im EKG bemerkbar. Eine rechtsventrikuläre Dysplasie kann im EKG zwar auffallen, muss aber nicht. Auch Ionenkanalerkrankungen bewirken nicht immer Veränderungen: Fünfmal kann das EKG normal sein, beim sechsten Mal nicht mehr.

derStandard.at: Wo stößt das Screening sonst noch an seine Grenzen?

Hintringer: Wir haben es hier mit vielen jungen, gesunden Menschen zu tun. Die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung ist bei Profisportlern gering. Wir müssen mit einem schlanken Konzept alle Sportler standardisiert untersuchen. Hier geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Zeitökonomie und die Vermeidung einer Strahlenbelastung. Vieles können Sie erst bei einer Magnetresonanz sehen, die führt man aber nicht als Teil einer Gesundenuntersuchung durch. Es wird immer wieder Sportler geben, von denen man lediglich glaubt, dass sie gesund wären. Erst wenn ein klinisches Ereignis eintritt, bemerkt man die Erkrankung.

derStandard.at: Welche Maßnahmen kann man im Falle einer erkannten Erkrankung treffen?

Hintringer: Der Belgier Anthony Van Loo trägt zum Beispiel einen implantierten Defibrillator. Er leidet an einer strukturellen Herzerkrankung und kann jederzeit Kammerflimmern bekommen, vor allem wenn er sich anstrengt. Er brach einmal während eines Spiels zusammen, erlangte aber rasch wieder das Bewusstsein. Ich denke, sie haben ihn dennoch ausgewechselt. Das können Sie sich auf Youtube ansehen. Auch ein Fußballer, dessen WPW-Syndrom behandelt wurde, kann seinen Sport wieder aufnehmen. Wenn ich die Krankheit allerdings nicht kausal behandeln kann und das Todesrisiko bestehen bleibt, sollte man mit dem Profisport aufhören.

derStandard.at: Können Herzfehler, die im Profifußball zum Tod führen, bei einem Nichtsportler ungefährlich bleiben?

Hintringer: Ja, oder sie manifestieren sich zumindest später. Jeder Mensch hat das Risiko, plötzlich tot umzufallen, ich genauso wie Sie. Bei uns ist es aber sehr gering, bei jemandem, der an einer hypertrophen Kardiomyopathie leidet, ist es erhöht. Exzessive körperliche Belastungen können die Krankheit vorzeitig demaskieren.

derStandard.at: Beim Wien-Marathon musste ein Läufer reanimiert werden. Sollten auch Hobbysportler vorsorgen? Würden Sie jemandem vor intensivem Sport zur Untersuchung raten?

Hintringer: Wenn ich mir ein solches Projekt vornehme, würde ich vorher eine sportmedizinische Untersuchung machen. Dabei ist ein Belastungstest wichtiger als ein Ultraschall. Verpflichtend kann man solche Tests bei derartigen Massenveranstaltungen aber nicht einführen, da wäre der Aufwand zu hoch.

derStandard.at: Ist mit einem Defibrillator vor Ort immer Abhilfe zu leisten?

Hintringer: Wenn jemand durch ein WPW-Syndrom Kammerflimmern bekommt, ist er in den nächsten drei Minuten mit einem Defibrillator mit hundertprozentiger Sicherheit zu retten. Wenn jemand an einer strukturellen Erkrankung leidet, kann es sein, dass das Herz nicht defibrillierbar ist. Trotzdem steigen die Überlebenschancen ganz massiv. In jedem Stadion sollte ein Defi sofort zur Stelle sein.

derStandard.at: Der Engländer Fabrice Muamba war 78 Minuten ohne eigenen Herzschlag. Nun denkt er bereits an ein Comeback mit implantiertem Defibrillator. Ist das wirklich sinnvoll?

Hintringer: Auf jeden Fall. Sportler, die strukturell gesund sind, würde ich auf jeden Fall zu einem Comeback ermutigen. Allein um das Erlebte zu überwinden. (Philip Bauer, derStandard.at, 19.4.2012)