Wissenschaftler haben sich auf die Spuren der sekundären Pflanzenstoffe begeben.

Foto: photodisc

In Obst und Gemüse steckt noch viel mehr gesundheitsfördernde Power, als landläufig bekannt ist. Neuere Studien belegen, dass auch die Farbe darüber entscheidet, ob sich Krebszellen vermehren oder Schlaganfälle erst gar nicht passieren.

Wissenschaftler haben sich auf die Spuren der sekundären Pflanzenstoffe begeben und erfreuliche Entdeckungen gemacht. Zwischen 60.000 und 100.000 bioaktive Substanzen werden von Pflanzen produziert. Nährstoffcharakter besitzen sie keinen, ihre Funktionen sind dennoch vielfältig: Sie regulieren das Wachstum, bestimmen die Farbe der Früchte, wehren Schädlinge oder Krankheiten ab oder aber fungieren als Duft- und Aromastoffe.

25 Gramm pro Tag

Besonderes Augenmerk erfährt neuerdings eine Gruppe pflanzlicher Farbstoffe, zu denen Flavonoide (Polyphenole, Anm.) und Karotinoide gehören. Art und Menge des Farbstoffes entscheiden über die Pigmentierung der Früchte und wohl auch über das gesundheitsfördernde Potenzial. Nach der Bio-Farbenlehre lassen sich Obst- und Gemüsesorten in vier Gruppen unterteilen: grün, orange/gelb, rot/violett und weiß.

In einer groß angelegten Langzeitstudie mit 20.000 Teilnehmern hat ein niederländisches Forscherteam der Universität Wageningen den Zusammenhang zwischen Fruchtfarbe und Schlaganfallrisiko untersucht. Das Ergebnis: Der tägliche Konsum von 25 Gramm weißem Obst oder Gemüse über zehn Jahre hinweg senkt das Schlaganfallrisiko um neun Prozent. Bei einem Verzehr von mehr als 170 Gramm pro Tag - das entspricht einer Banane, einem Apfel oder einer halben Gurke - reduziert sich das Risiko gar um die Hälfte.

Verantwortlich für diese Schutzwirkung ist das Flavonoid Quercetin, das in weißem Obst und Gemüse, etwa Zwiebeln, Knoblauch, Karfiol, Gurken, Äpfeln, Birnen, Bananen und Lauch, enthalten ist. Der bioaktiven Substanz wurden schon vor der niederländischen Studie wunderbare Effekte attestiert. "Quercetin besitzt präventives Potential gegenüber Asthma und Magenkrebs, zudem verhindert es auch den neuronalen Zellenabbau und wirkt damit gegen Alzheimer", sagt Marlies Gruber vom Forum Ernährung heute. "Was den Quercetingehalt anbelangt, sind Chicorée, Birne und Lauch ganz vorne mit dabei. Sie werden nur von Zwiebel übertrumpft."

Schutz vor Entartung

Mit ähnlich hochpotenten Schutzschildern können violette Früchte und Gemüsesorten aufwarten. Melanzani, rote Zwiebeln, Beeren und Trauben enthalten blaue und rote Anthocyane, die nicht nur für die Farbgebung zuständig sind, sondern auch zellschädigende freie Radikale beseitigen. Von der Natur als Sonnenschutz für die Pflanzenwelt vorgesehen, schützen Anthocyane auch menschliche Zellen vor Alterung und Entartung.

Studien haben gezeigt, dass das Bioflavonoid Anthocyan schützende Gene aktiviert und zugleich Erbmaterial blockieren kann, das Schaden anrichtet. Diese bioaktive Substanz besitzt also die Kraft, die unkontrollierte Vermehrung von Krebszellen zu behindern beziehungsweise in manchen Fällen sogar zu eliminieren. Die Aronia- oder Apfelbeere und lila Mais beinhalten die tüchtigsten Krebsbekämpfer. Ihre Pflanzeninhaltsstoffe haben in Labortests das Wachstum von Darmkrebszellen gestoppt und 20 Prozent davon endgültig ein Ende bereitet. "Alle Früchte und Gemüse, die reich an Anthocyanen sind, enthalten Komponenten, die das Wachstum von Darmkrebszellen verlangsamen können", erklärt Monica Giusti, die sich an der Ohio State University mit der veganen Gesundheitsförderung beschäftigt. "Diese Pflanzen enthalten sehr viele Bestandteile, von denen wir gerade erst beginnen herauszufinden, welche die besten Auswirkungen auf die Gesundheit haben."

Mit Grün gegen Allergien

Wer mit Atemwegserkrankungen zu kämpfen hat, liegt bei den grünen Kreuzblütlern richtig. Brokkoli, Karfiol, Kohlsprossen und Co. sind mit dem bioaktiven Inhaltsstoff Sulforaphan ausgestattet, den Forscher in den USA als natürlichen Schutzschild gegen Atemwegserkrankungen wie Asthma, allergische Rhinitis und chronisch obstruktive Lungenerkrankung identifiziert haben.

Sulforaphan kurbelt die Ausschüttung antioxidativer Enzyme an, die freie Radikale binden und die Atemwege dadurch schützen. "Unsere Studie weist als eine der ersten nach, dass vor allem Brokkoli-Sprossen großes wirksames Potenzial im Menschen hat", sagt der Studienleiter Marc Riedl von der University of California. "Wir haben eine zwei- bis dreifache Steigerung der antioxidativen Enzyme in Atemwegszellen bei jenen Studienteilnehmern festgestellt, die Brokkoli-Sprossen zu sich genommen haben." Damit könnte eine natürliche Waffe gegen entzündliche Prozesse gefunden sein.

Dem grünen Gemüse wird außerdem vorbeugende Wirkung gegen Arthritis, Alzheimer und Typ-2-Diabetes zugeschrieben. Nebenbei soll Sulforaphan krebshemmende Eigenschaften besitzen und das Risiko, an aggressivem Prostatakrebs zu erkranken, senken, so das Ergebnis einer im "Journal of the National Cancer Institute" veröffentlichten Studie. Experten empfehlen, die grünen Gemüsesorten, insbesondere die Brokkoli-Sprossen, möglichst frisch, roh oder aber schonend zubereitet zu essen. 

Vermeintlich gesund

Zur Vorsicht wird Patienten geraten, die blutverdünnende Medikamente einnehmen. Grünes Gemüse enthält viel Vitamin K, von dem drei Gerinnungsfaktoren abhängen. "Grundsätzlich gibt es verschiedene gerinnungshemmende Prinzipien", erklärt die Vizepräsidentin der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft, Irene Lang. "Das Präparat Marcumar zum Beispiel wirkt als Antagonist zu Vitamin K, es hemmt Vitamin-K-abhängige Gerinnungsfaktoren. Das bedeutet, wenn viel Vitamin K über die Nahrung zugeführt wird, verstärkt das die Wirkung der Medikamente. Das gilt allerdings nicht für die allerneueste Generation von Gerinnungshemmern, die setzen viel zielgerichteter an und zielen nur auf einen Gerinnungsfaktor, anstatt breitbasig zu wirken."

Um die Patienten vor negativen Auswirkungen vermeintlich gesunder Kost zu schützen, liegen in den Gerinnungsambulanzen, die Patienten einstellen, Merkblätter auf. Diese Listen verzeichnen detailliert, welche Nahrungsmittel und Gemüse die antikoagulative Wirkung der Medikamente verstärken oder abschwächen können. "Da spielt das Essen ausnahmsweise einmal wirklich eine Rolle", sagt Lang. "Um auf der sicheren Seite zu sein, würde ich den Patienten, die die zuvor genannten Medikamente einnehmen, raten, auf grüne Gemüse zu verzichten." (Gabriela Poller-Hartig, derStandard.at, 11.7.2012))