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Das Drachenboot auf dem Saigon River und Szenen aus Hanoi.

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"Made in Vietnam" boomt,...

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...auch als original deutscher Döner Kebab aus dem Straßencafé Goethe.

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Amerikanische Panzer im Museum für Kriegsrelikte in Ho-Chi-Minh-Stadt. Viele Besucher dort sind Amerikaner.

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Ho-Chi-Minh-Stadt/Wien - Die schweren Schiffsdiesel grummeln bedrohlich, als das große Drachenboot vom Bach-Dang-Pier ablegt. Gnadenlos drischt die Sonne auf die braune Brühe des Saigon-River. In der Dong-Khoi-Straße wird das Majestic, das noble alte Kolonialhotel, kleiner und kleiner. Dafür tauchen die großen Frachter im Hafen auf und die Wolkenkratzer, die in den Him-mel von Ho-Chi-Minh-Stadt wachsen. Es ist ein schönes Bild, das für das neue, moderne Vietnam steht.

Seit 1986 lässt die Kommunistische Partei des Landes quasi im Gleichschritt mit dem kommunistischen Bruderland und Langzeitrivalen China eine wirtschaftliche Öffnung zu. "Doi Moi" nennt sich das in Hanoi, der Hauptstadt, und im wirtschaftlichen Zentrum Ho-Chi-Minh-Stadt. Das Schlagwort der "Erneuerung" macht im Geschäftsleben vieles möglich, was die orthodoxe vietnamesische KP im politischen Bereich gnadenlos unterbindet.

Dynamik

Von Doi Moi profitiert auch Stefan Ernest. 2003 ist der ehemalige Holzbauer von Bad Aussee nach Vietnam ausgewandert. Er gründete die Bonsai River Cruise, baute sein erstes Drachenboot selbst, später kam ein zweites Schiff dazu. Heute hat Ernest 110 Angestellte - von Köchen über Musikern bis zu Zauberern - und schippert Geschäftsleute und Gesellschaften über den Saigon River. "Zuerst war das alles nur ein Traum", sagt er. "Aber nur in Vietnam war es möglich, ihn auch zu verwirklichen."

Ins Träumen gerät auch die österreichische Wirtschaft, wenn sie an das fernöstliche Land denkt, dem zuletzt Bundespräsident Heinz Fischer vor wenigen Tagen mit einer großen Delegation ein herzerwärmendes "Guten Morgen!" gewünscht hat. Sie versucht die Verluste bei den Exporten in europäische Länder in der Ferne zu kompensieren. "Der Anteil Vietnams am österreichischen Exportgeschäft ist noch klein. Aber die Dynamik, die ist in Ländern wie diesen zu finden", sagt Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner im Standard-Gespräch und blickt über die Reling des Drachenbootes auf langsam vorbeiziehende Uferstriche.

Mittelfristig sei es jedenfalls drin, fallende Exportquoten in Europa dort zu kompensieren. Vor allem im Bereich Infrastruktur gebe es in den im Umbruch befindlichen Volkswirtschaften einige Chancen, glaubt der Wirtschaftsminister. Die Vietnamesen selbst bekunden Interesse an Ausbildung (gut die Hälfte der Bevölkerung kam erst nach dem Ende des Vietnamkrieges 1975 zur Welt), im Medizinsektor, im Verkehrs- und Energiebereich.

Gutes Wachstum ...

In der Tat ist die vietnamesische Wirtschaft 2011 um rund sechs Prozent gewachsen, und der österreichische Export hat sich seit 2005 verdreifacht. Erstmals durchbrachen die Ausfuhren im Vorjahr die 100-Millionen-Euro-Marke (plus elf Prozent). Besonders österreichische Maschinen, Mess- und optische Geräte sowie Pharmazeutika waren gefragt.

Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl leitet aus der zunehmenden wirtschaftlichen Vernetzung auch politische Implikationen ab. Ganz gemäß dem alten Motto "Handel bringt Wandel" werde sich auch längerfristig eine Öffnung nicht vermeiden lassen. Die Wirtschaft fördere Pragmatismus und Internationalisierung, das werde sich zwangsläufig auch in Vietnams Innenpolitik niederschlagen.

... und viel Pragmatismus

Einen erstaunlichen Pragmatismus legen die Vietnamesen allerdings bereits jetzt an den Tag. Das wird nicht nur klar, wenn auf der Dachterrasse des Hotel Rex, des ehemaligen US-Pressekommandos in Saigon, brennende B-52-Cocktails serviert werden. Das zeigt sich auch den Besuchern des Museums für Kriegsrelikte in Ho-Chi-Minh-Stadt. In dessen Garten rosten amerikanische Panzer und Kampfjets friedlich vor sich hin. Und Touristengruppen aus den Vereinigten Staaten sehen sich in Ausstellungen an, welche Gräueltaten die US-Streitkräfte im Krieg begangen haben. Bilder von Verwüstung und Tod reihen sich dort aneinander. Vor allem jene der missgebildeten, nachgeborenen Opfer des dioxinverunreinigten Entlaubungsmittels Agent Orange, von dem 45 Millionen Liter über dem Land versprüht wurden, sind nur schwer zu ertragen.

Hanoi hält das dennoch nicht davon ab, heute auch militärisch eng mit den USA zusammenzuarbeiten. Erst vor einer Woche besuchte Verteidigungsminister Leon Panetta das Land. Er war der bisher ranghöchste US-Politiker, der den ehemaligen Versorgungshafen der US-Streitkräfte in Cam Ranh Bay besuchte und mit den Vietnamesen einen Austausch von Informationen über die noch immer verschollenen knapp 1000 GIs in dem Land vereinbarte. Bereits im Herbst hatten beide Staaten eine engere Militärkooperation beschlossen. Zuletzt gab es vor einigen Monaten gemeinsame Manöver im südchinesischen Meer.

Nun plädierte Panetta in Vietnam auch für eine Kooperation bei territorialen Streitigkeiten in den umstrittenen Gewässern. Die Anrainerstaaten - darunter China, Vietnam, die Philippinen und Malaysia - beanspruchen teilweise dieselben Seegebiete und Inseln. "Der Zugang für die amerikanische Marine zu diesem Bereich ist die Schlüsselkomponente dieser Beziehungen mit Vietnam", sagte Panetta. Bis 2020 sollen etwa 60 Prozent der US-Kriegsmarine im Pazifik stationiert sein. Bisher sind es 50 Prozent. Die Aufstockung wird von Beobachtern als Reaktion auf die wachsende Militärmacht Chinas interpretiert.

Die geopolitische Szenerie liest sich beinahe wie im Stillen Amerikaner, in dem Graham Greene das Indochina der 1950erJahre und die Vorzeichen des amerikanischen Engagements in Vietnam beschreibt. Sein Held, der alternde britische Zeitungskorrespondent Thomas Fowler, sucht bei Greene in den opiumgeschwängerten Bars von Saigon "nach einem Versprechen von Ruhe". Die Handlung, mit all ihren politischen Intrigen und Verflechtungen, könnte sich so auch heute in Ho-Chi-Minh-Stadt zutragen. Und Fowler würde seinen Frieden auch im boomenden Vietnam dieser Tage nicht finden. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 12.6.2012)