Immer am Rande eines Schlamassels - oder mittendrin: Dan Stuart. Von dort bezieht der US-Songwriter seine Inspiration. Nun hat er ein neues Album veröffentlicht, diesen Samstag spielt er im Wiener Chelsea.

Foto: DS.com

Genialische Kleinode im Einzugsgebiet von gescheiterten Beziehungen und überlebensnotwendigem Zynismus. Am Samstag gastiert er mit Band live in Wien.

Wien - Nachdem die größer werdende Anzahl vielfältiger Bands deutlich vor Augen führt, dass Popkultur längst keine Jugendkultur mehr ist, drängt sich neben den Wehwehchen der älter werdenden wilden Hunde das Thema Würde zusehends in den Vordergrund. Denn bürgerlichen Ansichten nach verpflichtet fortschreitendes Alter ja zu dieser. Damit geht aber meist eine künstlerische Fadesse einher, die in einer plötzlichen Koketterie mit der sogenannten Hochkultur begründet liegt.

Diesbezüglich unauffällig ist der US-amerikanische Singer-Songwriter Dan Stuart, der nach 17 Jahren Pause ein neues Soloalbum vorlegt: The Deliverance of Marlowe Billings - am kommenden Samstag stellt er es mit seiner Band im Wiener Chelsea vor.

Bekannt geworden war der heute 51-Jährige in den 1980er-Jahren mit der Band Green on Red. Einer Formation von Traditionalisten, die ihrer Zeit anachronistischerweise voraus waren: Mit dem Persilschein des Punk ausgestattet, widmeten sich Stuart, Chuck Prophet und Co dem Countryrock der 1960er- und 1970er-Jahre.

Charakteristisch für Green on Red war Stuarts heller Gesang. Ein herrliches Winseln, mit dem er sich vor angebeteten Damen in den Staub warf oder bittersüßen Balladen den Herzschmerz der Glaubwürdigkeit zuführte. Wer sich die Wunden leckt, hat keine Zeit, sich um Würde Gedanken zu machen.

Ein Faible für Verlierer

Eine größere Karriere ging sich damals trotz Kritikerlob - "die neuen Rolling Stones!" - nicht aus, aber außerhalb der USA wurde die Band heiß geliebt. Weltkarrieren sollten verwandten Bands wie Wilco ein paar Jahre später gelingen. Zu jener Zeit waren Green on Red Geschichte, leise verschwunden - nicht ohne zuvor Meisterwerke wie Here Come the Snakes (1988), Scapegoats (1991) oder Too Much Fun (1992) hinterlassen zu haben.

Das waren Werke, in die sich leise auch Soul-Music eingeschlichen hatte und die von einschlägigen Größen wie Dan Penn oder Jim Dickinson produziert worden waren. Schon deshalb waren Green on Red immer besser als gemeine Roots-Rock-Formationen.

Stuart erzählte in seinen Liedern bildstarke Geschichten in der Tradition eines Jim Thompson. Wie der Großmeister der Pulp-Literatur besaß und besitzt er ein Faible für Underdogs. Gewürzt mit autobiografisch bedingtem Zynismus und seinem originären Gesang ergibt das eine zu Herzen gehende Kunst, die auch das Hirn nicht beleidigt.

Thematisch schließt sich schon mit dem ersten Satz des neuen Albums das Zeitloch: "You said you'd love me, but we both know you lied." Alles bleibt anders. Stuart gibt sich elendem Herzeleid immer noch ohne Angst vor Verlust des Ansehens hin. Seine Abgeklärtheit macht den Schmerz nicht erträglicher, sie weist ihn als wiederkehrende Prüfung aus, die im Alter nicht leichter wird.

Da hilft selbst das am aktuellen Album vorgeschobene Pseudonym des Marlowe Billings nicht. Das Spiel damit ist augenzwinkernd - Stuart hat keinen Grund, sich zu verstecken. Das belegt die Qualität des Albums. Im angestammten Countryrock-Revier groovt er mit unterschwelligen Rhythm-and-Blues-Charakteristika meist im Midtempo durch seine Geschichten.

Aber Dan Stuart singt nicht bloß, er formuliert Geständnisse. Diese lassen nicht unbedingt auf einen mit sich selbst im Reinen befindlichen Charakter schließen, aber wir sind ja nicht bei Rosamunde Pilcher. Das Leben ist hart, die Liebe schwierig, nur die Bar hat immer offen.

Dementsprechend scheint Stuart durch manche seiner Balladen nachgerade zu kriechen. Aber er weiß, dass sich auch aus der Froschperspektive des Lebens eine gewisse Größe beziehen lässt. Das ergibt träge Songperlen mit schwer tröpfelnden Pianomelodien ebenso wie leichtfüßige Uptempo-Stücke mit gottvollen Melodien. Immerhin stammen aus seiner Feder Jahrhundertsongs wie Time Ain't Nothing oder der mit der All Star Band Danny & Dusty verwirklichte Song for the Dreamers, heilig.

Am besten aber ist er im waidwunden Fach. Auf The Deliverance of Marlowe Billings ist es etwa das gemütsschwere What Can I Say?, das in Erinnerung ruft, dass wir es hier mit einem der besten Songwriter seines Fachs zu tun haben. Daran sollte man denken, wenn man den Samstag plant. (Karl Fluch, DER STANDARD, 4.10.2012)