"Wir müssen uns um das Wissen kümmern oder uns einen Strick besorgen": Diesen dem antiken Kyniker Diogenes zugeschriebenen Satz verdankt die Rezensentin Alfred Schirlbauer. Der darin verborgene Anspruch wurde und wird von rührigen Pädagogen oft als überzogen zurückgewiesen - mit dem Hinweis, dass es um unser Schul- und Bildungssystem zwar ernst, aber nicht derart dramatisch stünde. Typisch Österreich eben. Missverstanden.

Alfred Schirlbauer lässt nicht locker. Sein kürzlich erschienenes Wörterbuch unterscheidet sich wohltuend erfrischend von aktuellen publizistischen Auseinandersetzungen mit Schule und dergleichen: In seinen "diabolischen Betrachtungen", gesammelt in einem "Ultimativen Wörterbuch der Pädagogik", geht er so mancher (Selbst-)Täuschung auf den Grund. In genuin pädagogischer Manier hält er "Bildungsdenkern" und " -machern" einen Spiegel vor und lässt erkennen, wohin ein bestimmter Eifer, Vergessenheit und Einäugigkeit führen - auf kynische Art.

Leises Klicken der Tasten

Im Trubel des heutigen Schulalltags sind viele Erfahrungen verlorengegangen, vgl. dazu den Begriff "Stille": "Die stille Konzentration auf eine mathematische Aufgabe oder die stille Versenkung in ein Gedicht von Rilke gibt es nicht mehr ... Aus didaktischen Gründen ist die sogenannte Stillarbeit abgeschafft worden. Das stille Kratzen der Füllfedern, das stille Sichzulispeln dessen, wie die Aufgabe gelöst werden muss ... In den neuen Laptop-Klassen hört man das ,Geläut der Stille' (M. Heidegger): als leises Klicken der Computertasten."

Oder "Unterricht", ein anderes Stichwort: "Schon vor rund 40 Jahren kam das Unterrichten in Misskredit, weil es etymologisch mit ,richten' und , unter' zu tun hat. Das Unterrichten - so meinten die kritischen Pädagogen - wäre eine Form von Herrschaftsausübung durch Angestellte der herrschenden Klasse ... Der Unterricht geriet somit unter Autoritarismusverdacht. Daher musste er ,kritisch' und ,hinterfragt' werden." Mit all den Folgen, unter denen die Schule und die Jugendlichen heute leiden (man denke nur an die aktuell hohe Zahl an Pflichtschulabgängern, welche nicht über die Grundkenntnisse in Lesen, Schreiben, Rechnen verfügen, schon gar nicht über die notwendigen Tugenden, um auf dem Arbeitsmarkt zu reüssieren).

Schirlbauer nimmt nicht nur die Lehrer und die Schulreformer aufs Korn, sondern auch die "Bildungspolitiker". Bildungspolitiker "wird man dann, wenn man von der Sache, von der kaum einer etwas versteht, absolut nichts versteht". Schirlbauers immer wieder durchschimmernder Hang zum Zynismus nimmt seinen Betrachtungen den absoluten Ernst und macht sie auf eine erfrischende Weise geistig eingängig. Dass "Reform" etymologisch die "Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands" bedeutet, ist den wenigsten Vertretern des "Projektunterrichts" und des selbstorganisierten Lernens bewusst.

Alfred Schirlbauer, der als Lehrer und Pädagogik-Professor an der Universität Wien immer wieder über den Tellerrand seiner Disziplin hinausgedacht hat, fühlt sich unter anderem dem amerikanischen Journalisten und Schriftsteller Ambrose Bierce und seiner Stilistik verwandt, besonders dem Devil's Dictionary (7. Band der Gesammelten Werke), aber auch den jüngeren Autoren, die sich mit (überzogenen) Political-Correctness-Ansprüchen auseinandersetzen (etwa Matthias Dusini und Thomas Edlinger, In Anführungszeichen).

Ich habe noch niemanden getroffen, der/die ihn als Hochschullehrer kennengelernt hat und von seinem akademischen "Unterricht" nicht begeistert gewesen wäre. (Gertrude Brinek, Album, DER STANDARD, 27./28.10.2012)