"Piratenparty in Somalia würde mich reizen": Helge Timmerberg.

Foto: Frank Zauritz

STANDARD: Mit 17 trampten Sie nach Indien und hörten in einem Aschram eine innere Stimme, die Ihnen riet, Journalist zu werden. Wenn Sie dem nicht gefolgt wären – würden Sie womöglich heute noch immer in Indien hocken?

Helge Timmerberg: Eigentlich müsste ich mir überlegen, was gewesen wäre, wenn ich in Amsterdam nicht an Dope geraten wär. Mit 16 habe ich eine Lehre angefangen als Textilhändler in Bielefeld, die mir mein Vater besorgt hatte, weil ich damals überhaupt nicht wusste, was ich anfangen soll. Mit der Berufsschule machten wir dann eine Fahrt nach Amsterdam, wo's plötzlich ans Kiffen ging.

Dort wurde ich wirklich ein anderer. Zurück in Deutschland verlangte der Personalchef von der Textilfirma mal wieder, dass ich meine Haare abschneide. Die trug ich damals schon so lang wie heute. Ich hatte mir noch am selben Tag in der Mittagspause eine Glatze schneiden lassen, im Sinne von: Jetzt leckt mich endlich. Dann haben die mich innerhalb von drei Tagen rausgeworfen. So kam ich auf die Idee mit Indien. Aber dort bleiben? Das sind die Gedanken eines romantischen Siebzehnjährigen, der einmal Wandermönch werden will.

STANDARD: Sie haben dann in Deutschland beim Chefredakteur der Lokalzeitung angeklopft. Es war Viertel vor sechs, kurz vor Druckschluss – doch Sie hatten Glück: Der Chefredakteur war ein Saufkumpan von Ihrem Vater.

Timmerberg: Stimmt, aber dem musste ich dann fünf Probeartikel schreiben. Wenn die scheiße gewesen wären, hätte der mich sicher nicht genommen. Beim Volontariat wurde ich dann ins kalte Wasser geworfen, schließlich gab es neben mir nur drei Redakteure für vier Seiten pro Tag. Wir mussten schon mittags mit unserem Scheiß fertigwerden, das war ein permanenter Kampf gegen die Uhr. Die Journalisten waren auch noch nicht so farbig gestrickt wie heute. Das war ein ganz bestimmter Typus Mensch, so Eisenbeißer – und ich war ein Hippie. Da trafen zwei Welten aufeinander. Obwohl ich ziemlich beliebt war in der Redaktion, haben die mir nach dem Volontariat schwer abgeraten vom Journalismus. Da ging's aber auch nicht ums Schreiben, sondern ums reine Transportieren von Informationen.

Den Rat hab ich aber ernst genommen und ein vegetarisches Restaurant eröffnet. Nach nicht mal einem Jahr war ich pleite. Zu der Zeit bin ich Vater geworden und wohnte mit meiner Familie in Eilum, einem kleinen Dörfchen bei Braunschweig mit einem unheimlich hohen Anteil von Landfreaks. Etwa zwei Kilometer von meinem Haus entfernt gab es eine Atommülldeponie, über die ich für den Stern eine Geschichte machen wollte. Eine ganz liebe Kollegin von mir reagierte darauf vollkommen entsetzt: Wie ich denn auf die Idee käme, dass ausgerechnet ich der Richtige für den Stern sei, schließlich wollen da doch tausende Journalisten hin. Für mich war das aber kein Argument. Nach zwei Monaten – und etlichen nervenden Anrufen – war die Geschichte schließlich im Blatt.

STANDARD: Als Sie Hunter S. Thompson für sich entdeckt hatten, wurden Sie nach zwei Jahren beim "Stern" rausgeworfen.

Timmerberg: Das war ein ähnlicher Einschnitt, wie als ich als Lehrling nach Amsterdam kam. Thompson ging mir ein bis in die Knochen. Aber wie das Leben so ist, gab's nach meiner Kündigung sofort Alternativen: Beim Playboy wollten die genau diese Art von Geschichten – journalistisch, aber auch literarisch.

STANDARD: Wo liegen da Ihre Grenzen?

Timmerberg: Viele Leute glauben nicht, dass ich das alles so erlebt habe, aber das ist alles wahr. Ich empfinde das mittlerweile als Schwäche. Gerne würde ich auch Romane schreiben, doch dafür ticke ich zu journalistisch. Ich brauche die Realität als roten Faden.

STANDARD: In "Schneekönig", der Biografie des Hamburger Koksdealers Roland "Blacky" Miehling, ließen Sie ihn im Buch einen BMW holen – tatsächlich war es ein Jaguar.

Timmerberg: Das waren doch nur Spielereien, vollkommen unwesentlich für die Geschichte! Ich hab "Blacky" insgesamt ein Stück weit eleganter gemacht, als er eigentlich ist. Wir hatten als leidenschaftliche Abenteurer und Reisende viele ähnliche Eigenschaften – einmal waren wir sogar zufällig gleichzeitig im selben Amazonas-Gebiet.

Er hat sich da Koka-Labors im Dschungel angeschaut und ich Goldsucher für eine Reportage. Später sind wir dann draufgekommen, dass wir sogar die gleichen Leute getroffen hatten. Da war es sehr verlockend, die Gedanken, die mir im Regenwald kamen, ihm in den Mund zu legen. Aber er hat alles gegengelesen und sagte immer: "Geil, so denke ich auch manchmal."

STANDARD: Liefen Sie mal Gefahr, zu wenig Distanz zu Ihren Protagonisten zu haben?

Timmerberg: Ich hab mir nie die Frage gestellt, wie viel Distanz muss ich halten, sondern immer: Wie frei kann ich schreiben, ohne dass mir eine angenehme Beziehung zu den Protagonisten das unmöglich machen würde? Ich hab mehr die Sorge, dass ich die Distanz nicht aufbrechen kann. Wenn ich nicht warmwerde mit jemandem, wie soll ich dann über ihn schreiben?

Distanz soll ja den Objektivitätsanspruch im Journalismus unterstützen. Nach wie vor glaub ich aber, dass das eigentlich gar nicht geht, objektiv zu sein. Ich lese ja sehr viele Medien – und spür das immer wie ein Balken im Gesicht, wenn ich die politische Einstellung des Blattes sehe. Ich spreche da genauso vom Spiegel, der immer auf seine Neutralität pocht – völliger Quatsch.

STANDARD: Welche Rolle spielt für Sie Kiffen beim Schreiben?

Timmerberg: Das hat sich irgendwann so eingespielt. Nüchtern schreiben hat natürlich viele Vorteile, man ist zum Beispiel wesentlich schneller, aber ich habe meine nüchternen Texte meist vom Kunden wieder zurückbekommen – meist hieß es dann: "Irgendwas stimmt mit dir nicht." Franz Josef Wagner von der Bunten hat mich einmal wegen eines Textes zusammengeschrien. Als ich ihm erzählt hab, dass ich den Text diesmal sogar clean geschrieben hab, ist der völlig ausgeflippt: "Geh sofort zu deinem Dealer!" Ich schreibe tatsächlich besser, wenn ich bekifft bin.

STANDARD: Früher wären Sie wohl zu Kindersoldaten in den Kongo gereist. In Ihrem neuen Buch machen Ihnen Kakerlaken oder trist ausgestattete Hotelzimmer zu schaffen. Leiden dadurch nicht die Geschichten?

Timmerberg: Bei African Queen bin ich verliebt mit meiner neuen Freundin losgefahren – und die Liebe war eben auch das Thema des Buchs. Eigentlich hatte ich geplant, dass, sobald meine Freundin in der Lodge ankommt, wo sie gearbeitet hat, ich zu weiteren Reisen aufbreche, aber letztendlich bin ich nie von ihr losgekommen. Tatsächlich bin ich nur ein einziges Mal für eine andere Geschichte weggegangen, und zwar für eine Reportage über Schlingensiefs Operndorf.

Natürlich bin ich älter, auch bequemer geworden und habe bei Hotels einen höheren Anspruch. Jedes Alter hat halt seine Stärken und auch seine Themen. Wär aber interessant, was ich in Afrika ohne die Frau gemacht hätte. Wahrscheinlich wär ich nach Somalia gefahren: Was mich sehr gereizt hätte, wäre eine Party von somalischen Piraten nach einem erfolgreichen Coup.

STANDARD: Sie haben jahrelang in Marokko und Kuba gelebt. Heute ist Ihr Wohnsitz abwechselnd in St. Gallen, Berlin und Wien. Wie schneidet da die österreichische Hauptstadt ab?

Timmerberg: Sowohl die Österreicher als auch die Schweizer sind viel weniger politisch korrekt. In Deutschland war das in den letzten 15 Jahren nur schwer für mich zu ertragen. Die Schweizer sind aber gleichzeitig furchtbar langweilig, während zumindest die Wiener einen super Schmäh haben. Die geistige Atmosphäre ist hier wesentlich freier als in jeder deutschen Stadt. Außerdem darf man überall rauchen.

Ich lese auch gerne Krone – das kann man jetzt missverstehen, aber für mich ist das unfreiwilliger Humor. Wenn von den "Ost-Banden" die Rede ist – das hat was. Oder der Jeannee, er schreibt zwar gut, aber eben nur bescheuerte Sachen.

Als am Schwedenplatz ein Schwarzer von Polizisten zu Boden geschlagen wurde, weil die fälschlicherweise glaubten, der sei Dealer, hat Jeannee die Aktion nachher in Schutz genommen, sinngemäß: Wir wissen ja alle, dass von sechs Dealern fünf schwarz sind; lieber mal einen unschuldig zu Boden hauen, als einen Schuldigen zu viel gehen lassen. Der Typ ist ja nicht zu fassen! Solche Dinger haut der eines nach dem anderen raus. Das ist für mich Grusel-Humor!

STANDARD: Muss es immer Afrika oder Nordkorea sein – kann's nicht auch mal eine Reportagereise aus dem Burgenland sein?

Timmerberg: Aber natürlich kann es das sein! Für die Bild am Sonntag bin ich einmal fünf Tage von Wien bis nach Mariazell gewandert: Ein völliger Wahnsinn! Das hat auch mit meinem Alter zu tun: Palmen bringen mich nicht mehr großartig hoch, eher schon eine Bergwiese oder ein schöner deutscher Mischwald.

Ich wollte eigentlich im September mit einem Österreich-Buch anfangen, und zwar mit einer Wanderung auf dem Semmering, und da dann psychedelische Pilze pflücken. Leider habe ich, wie für so vieles in diesem Jahr, den richtigen Zeitpunkt dafür verpasst. (Fabian Kretschmer, Album, DER STANDARD, 3./4.11.2012)