Werner Faymann macht der ÖVP Druck in Schulfragen: Auch das Lehrerdienstrecht muss noch neu aufgestellt werden.

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STANDARD: Wie sehr belastet der Streit um die Schule das Koalitionsklima?

Werner Faymann: Für uns ist das eine ganz wichtige Frage. Wir wollen mindestens 40.000 Plätze mehr für Ganztagsschulen, also für die verschränkte Ganztagsschule, wobei die Entscheidung ja ohnehin am Standort getroffen wird. Aber es muss diese Möglichkeit geben, und zwar durch Österreich verteilt. Jedes Kind muss die Möglichkeit haben, in eine Ganztagsschule zu gehen. Das hat auch mit Chancen zu tun - Chancen für die Kinder und die Eltern. Viele investieren in Nachhilfelehrer oder haben überhaupt ein Problem, die Kinder am Nachmittag zu betreuen.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat sich wesentlich verändert, das muss man jetzt auch einmal zur Kenntnis nehmen. Man muss also unbedingt in den Ausbau von Ganztagsschulen investieren - in ganz Österreich. Für uns ist das eine erhebliche Frage. Deshalb muss ich nicht persönlich auf jemanden böse oder beleidigt sein, aber politisch trennt uns das von der ÖVP. Unser Ziel ist es, möglichst rasch zu einem Vollausbau zu kommen, und diese 40.000 Plätze zusätzlich sind ohnedies eine Untergrenze. Es könnte gleich mehr sein.

STANDARD: Wie wollen Sie das durchsetzen? Mehr Druck aufbauen?

Faymann: Ich werde es versuchen. Der Vizekanzler sagt immer wieder, sie sind gesprächsbereit, was die Betreuung generell betrifft. Ich bin ja für den verschränkten Unterricht, also dass Kinder am Nachmittag kreativ miteinander lernen, auch in Fächern wie Musik und Sport, das ist doch ein Gewinn für die Kinder. Dass sie eben nicht aufbewahrt werden, sondern dass sie auch Chancen haben. Andere erkaufen sich das teuer in Privatschulen. Ich verstehe nicht, warum nicht alle das gleiche Recht haben sollen. Wir müssen alle Chancen unserer Kinder und unserer Jugend nutzen, die kann man nicht brachliegen oder in irgendwelche Segregationen abdriften lassen.

STANDARD: War es nicht ungeschickt, mit diesem Streitthema in die Regierungsklausur zu gehen und sich damit eine positive Bilanz zu verstellen?

Faymann: Ich hatte wirklich darauf gehofft, dass wir diese 40.000 Plätze zusätzlich bei der Klausur beschließen können. Damit hätte 2018 jeder vierte Pflichtschüler die Chance, in eine solche Schule zu gehen. Das ist noch immer nicht die Welt! Wir müssen unsere Anstrengungen also noch einmal verstärken. Ich will nicht sagen, dass diese 40.000 Plätze nur ein kleiner Schritt sind, das wären auch 80 Millionen im Jahr. Aber es wäre immerhin ein Schritt gewesen, darauf hatte ich gehofft. Ich gebe da nicht auf. Bis zur nächsten Klausur im März brauchen wir ein Ergebnis.

STANDARD: Was hält Ihnen Michael Spindelegger denn entgegen, wenn Sie ihm Ihre Argumente vortragen?

Faymann: Das müssen Sie ihn selbst fragen. Es wäre unfair, wenn ich Ihnen das sagen würde, weil ich Ihnen nur jene seiner Argumente auflisten würde, die ich besonders falsch finde, und das ist nicht fair.

STANDARD: Ist es vorwiegend ein finanzielles Argument?

Faymann: Wenn Michael Spindelegger und ich gemeinsam in einem Schulforum oder Schulgemeinschaftsausschuss wären, dann würde ich für den verschränkten Unterricht stimmen. Bei ihm bin ich mir da nicht sicher. Meine jüngere Tochter geht übrigens in eine ganztägige Schule mit verschränktem Unterricht. Ich bin davon überzeugt, dass diese Idee - die Mutter ist zu Hause und hilft dem Kind am Nachmittag bei der Hausübung - keinen Sinn ergibt. Der Großteil der Mütter ist ja berufstätig.

Die Chancen entstehen doch in einer engagierten Schule mit engagierten Lehrerinnen und Lehrern. Es muss auch diese Mischung aus Lernfächern und Fächern, die das Selbstbewusstsein stärken, geben. Da gibt es Theatergruppen und Sport, da hat sich viel zum Positiven verändert in der Pädagogik. Ich sehe das als Riesengewinn, selbst wenn jemand zu Hause wäre, der Zeit hätte. Zwischen mir und dem Vizekanzler gibt es Unterschiede, wir würden für unsere eigenen Kinder nicht gleich abstimmen.

STANDARD: Hört man da bei Ihnen auch eine gewisse Enttäuschung heraus?

Faymann: Deshalb, weil dieser Ausbau ja nicht so ein Riesenschritt gewesen wäre. Hätte ich einen Ausbau von 75 Prozent verlangt, hätten wir mindestens die Erbschaftssteuer einführen müssen, und da hätte mir der Vizekanzler gesagt: "Das weißt du, das wollen wir nicht, und das geht schon deshalb nicht." Aber so war es ja nicht.

STANDARD: Aber das tät Ihnen wohl auch gut gefallen.

Faymann:  Natürlich. Ich bin dafür, das Programm gleich noch einmal zu verstärken und mit einer Erbschaftssteuer zu finanzieren. Aber mir wäre auch dieser erste Schritt wichtig gewesen. Wir haben viel Wichtiges und Richtiges beschlossen, wir haben viel getan, um den Wirtschaftsstandort zu stärken, wir haben von den Lehrlingsabschlüssen bis hin zur Stärkung des Arbeitsmarktes etwas weitergebracht, da hätte es gut gepasst, auch bei der Ganztagsschule, wo wir einen Nachholbedarf haben, Flagge zu zeigen.

STANDARD: Wird die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer ein zentrales Thema im Wahlkampf sein?

Faymann: Nicht nur im Wahlkampf. Es kommt auf die Wähler an. Es kommt darauf an, wer wie stark in der nächsten Legislaturperiode ist. Womit geht man in eine Koalitionsverhandlung? Für mich ist das ganz klar: Ich sage, wir sind für die Erbschaftssteuer, das wird Teil der Koalitionsverhandlung sein. Eine Erbschaftssteuer existiert auch in Deutschland mit einer Bundeskanzlerin Merkel. Und mir kann niemand sagen, dass Deutschland besonderes unternehmer- oder familienfeindlich ist.

Ich bin für eine Erbschaftssteuer ab einer Million Euro, vergleichbar mit Deutschland, mit hohen Ausnahmen, hohen Freigrenzen, auch Familien würden besonders bevorzugt. Und ich wäre dafür, mit diesen zusätzlichen Einnahmen den flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschule zu forcieren, die Kleingruppen in der Schule, damit also die Verbesserung der Schule zu finanzieren. Das ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft.

STANDARD: Würden Sie sagen, das ist eine Koalitionsbedingung?

Faymann: Die nächste Frage ist dann, was ist, wenn der andere die gegenteilige Bedingung hat? Mir ist schon klar, dass beide verschiedene Bedingungen haben, und trotzdem müsste ein Kompromiss gefunden werden. Aber ich würde es ganz oben auf meine Prioritätenliste setzen.

STANDARD: War diese Regierungsklausur am Freitag schon das letzte Aufbäumen der Koalition?

Faymann: Wenn es nach mir geht, werden wir uns im März bei der Regierungsklausur hinstellen können und sagen, wir sind einen Schritt weitergekommen. Sie werden das selbst ganz gut messen können: an der Frage der Ganztagsschule etwa oder beim Lehrerdienstrecht, das ist auch ein wichtiges Thema.

STANDARD: Beim Lehrerdienstrecht ist das Gegenüber doch eher die Gewerkschaft als der Koalitionspartner. Den Streit gibt es doch mit der Lehrergewerkschaft.

Faymann: Es gibt intern schon auch Meinungsverschiedenheiten. Wir müssen jetzt einmal gemeinsam eine Regierungsposition erarbeiten. Im Schulbereich stehen jetzt viele Pensionierungen an, wir hätten da wirklich die Chance, Schwung hineinzubringen, ein neues Dienstrecht für neu eintretende Lehrer.

Dass ich mir aber auch einen respektvollen Umgang mit der Gewerkschaft wünsche, wird Sie jetzt nicht sehr verwundern. Aber ein respektvoller Umgang heißt nicht, dass man die Flinte ins Korn wirft oder das Ziel aufgibt. Dieses ständige Zurückschrecken bei den Lehrern, dieses ewige Verschieben, davon halte ich nichts. Da ist noch was drinnen in dieser Periode.

STANDARD: Aber am Ende wird - trotz allen Respekts - eine höhere Lehrverpflichtung auf dem Papier stehen, oder?

Faymann: Für Neue, ja. Ich weiß schon, da muss man auch an den Rahmenbedingungen, an den Arbeitsbedingungen etwas ändern, und es muss die Lohnkurve anders aussehen. Das sind berechtigte Forderungen. Aber es muss etwas weitergehen. Und das geht nicht, wenn der eine Teil der Regierung nach links und der andere nach rechts zieht. Wir müssen in die gleiche Richtung ziehen. Das haben wir uns jetzt ausgemacht. Immerhin. Das war einer der Erfolge, die nicht bekannt geworden sind.

STANDARD: Wo sind Sie denn inhaltlich bei dieser Frage zusammengekommen?

Faymann: Dass wir bis Dezember eine Position ausarbeiten und dann Seite an Seite verhandeln und nicht gegeneinander. Sie können mir glauben, das ist ein Quantensprung. (Michael Völker, DER STANDARD, 12.11.2012)