Acht Jahre lang hat sie durchgehend als Korrespondentin in Syrien gearbeitet, kurz vor Beginn des aktuellen Konflikts wurde sie wegen eines falsch übersetzten Assad-Porträts ausgewiesen. Aus Berlin beobachtet Kristin Helberg den Bürgerkrieg in Syrien intensiv und zieht ihre Schlüsse.

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Ahmed Mouaz al-Khatib, Präsident der "nationale Koalition der Kräfte der syrischen Revolution und Opposition", unterzeichnet das Oppositionsabkommen.

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Alltag in Syriens umkämpften Gebieten.

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Seit nunmehr zwanzig Monaten dauern die Kämpfe in Syrien nun an. Ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht. Die Autorin und Nahostexpertin Kristin Helberg setzt aber große Hoffnungen in die neu gebildete "nationale Koalition der Kräfte der syrischen Revolution und Opposition". Sollte es das Bündnis schaffen, die Bevölkerungsgruppen zu einen und auch für den militärischen Kampf eine einheitliche Struktur zu bilden, sei das für Assad "sehr besorgniserregend". Ohne die Internationale Gemeinschaft stünde die Koalition allerdings auf verlorenem Posten.

derStandard.at: Sie haben von 2001 bis 2008 in Syrien gelebt und waren lange Zeit die einzige fest akkreditierte westliche Korrespondentin in Syrien. Seit April 2011 kommen Sie nicht mehr ins Land. Woher beziehen Sie Ihre Informationen?

Helberg: Ich informiere mich überwiegend aus dem Internet. Das Problem ist nicht, an Informationen zu kommen, sondern diese richtig zu bewerten und einzuordnen. Wenn man das Land nicht kennt, ist das schwierig. Außerdem nutzen natürlich beide Seiten die Medien für sich. Insofern muss man viel Zeit investieren in die Auswertung möglichst verschiedener Quellen. Natürlich habe ich auch noch Freunde und Bekannte in Syrien. Die Leute sind aber nur punktuell informiert.

derStandard.at: Am Sonntag haben Vertreter der syrischen Oppositionsströmungen in Katar nach einem einwöchigen Verhandlungsmarathon eine Allianz gebildet. Wie stabil ist diese Opposition und ist die repräsentativ?

Helberg: Für mich war das seit langem die erste gute Nachricht zu Syrien. Es wird sich natürlich erst erweisen, ob die Nationale Koalition die hohen Erwartungen, die von allen Seiten in sie gesetzt werden, auch erfüllen kann. Entscheidend wird sein, wie effektiv sie arbeitet. Ich denke aber, es ist gelungen, die Revolutionskräfte im Land mit denen der etablierten Opposition im Ausland sinnvoll zu verbinden. Sollte es dieser Koalition tatsächlich gelingen, die Bevölkerungsgruppen zu einen und auch für den militärischen Kampf eine einheitliche Struktur zu bilden, ist das für Assad durchaus besorgniserregend.

derStandard.at: Zum Vorsitzenden wählten sie den Prediger und sunnitischen Muslim Ahmed Mouaz al-Khatib. Was halten Sie von ihm?

Helberg: Seine Wahl macht mich zuversichtlich. Ich habe ihn vor Jahren persönlich kennen gelernt, für mich ist er eine echte Integrationsfigur. Er ist Sunnit und Gelehrter und ein sehr pragmatischer, gemäßigter und weiser Mensch. Allerdings hat er keine politische Erfahrung. Der Vorteil daran ist, dass er politisch nirgends angebunden ist. Deshalb ist es gut, dass ihm zwei herausragende Figuren der syrischen Opposition zur Seite gestellt wurden. Einerseits der prominente Dissident Riad Seif sowie die Oppositionelle Suhair al-Atassi, die beide bis vor kurzem im Inland wirkten. Alles in allem eine gelungene Besetzung.

derStandard.at: Es gibt jetzt also einen Ansprechpartner der Opposition für die Internationale Gemeinschaft. Bisher wurden ja Sanktionen oder gar militärische Maßnahmen gegen Syrien blockiert. Kann es nun zu einer Strategieänderung kommen?

Helberg: Das ist die Hoffnung, dass sich nach der syrischen Opposition jetzt auch die internationale Gemeinschaft zusammenrauft. Alle internationalen Kräfte, vor allem Russland, Iran und auch China, müssen davon überzeugt werden, dass es eine Alternative zum Assad-Regime gibt. Und zwar eine, die nicht Chaos oder ein islamisches Kalifat bedeutet, sondern aus dem syrischen Volk hervorgegangen ist.

derStandard.at: Unter welchen Umständen würde Assad über eine Machtabgabe verhandeln?

Helberg: Nur wenn der Druck der internationalen Gemeinschaft so groß wäre, dass Assad keinen anderen Ausweg sieht, würde er über seine eigenen Entmachtung verhandeln. An dem Punkt sind wir aber noch lange nicht. Assad fühlt sich relativ sicher und glaubt nicht, dass es eine Militärintervention geben wird. Womit er vermutlich recht hat, sofern die internationale Gemeinschaft sich nicht von der Nationalen Koalition überzeugen lässt, dass politischer und militärischer Druck ein konstruktiver Ausweg ist.

derStandard.at: Im Laufe der vergangenen Monate sind auch hochrangige Angehörige der syrischen Armee desertiert. Wie beschädigt ist die Moral der Armee mittlerweile?

Helberg: Von Deserteuren hören wir, dass die Truppen sehr erschöpft sind und die Moral am Boden liegt. Die Mehrheit der Soldaten tun ihren Dienst noch, weil es lebensgefährlich ist, die Seiten zu wechseln. Einige Soldaten kommen deshalb aus ihren Urlauben einfach nicht zurück. Die obersten Ränge in der Armee und im Geheimdienst sind allerdings sehr entschlossen. Diese Leute, die die staatliche Gewalt befehligen und verantworten, kämpfen an der Seite von Bashar Al-Assad um ihr persönliches Überleben und sind deshalb zu allem bereit.

derStandard.at: Der Großteil der Führungsriege des Regimes setzt sich - zumindest mittlerweile - aus Alawiten zusammen. Muss sich deswegen die alawitische Minderheit allgemein vor Racheaktionen fürchten?

Helberg: Ursprünglich hatte die Revolution ja nichts mit Religion zu tun. Der Hass gegenüber dem Regime war kein Hass gegenüber den Alawiten. Viele Alawiten sind bis heute bettelarm. Die wirtschaftlichen Hauptprofiteure und Stützen des Regimes waren die sunnitischen Geschäftseliten in Aleppo und Damaskus. In der politischen Führung waren alle Religionen vertreten. Der Konflikt nimmt zunehmend konfessionelle Züge an, weil das Regime ein schmutziges konfessionelles Spiel spielt.

Wir können deshalb nicht ausschließen, dass es nach einem Sturz des Regimes zu einzelnen Racheaktionen kommt, diese werden sich aber nicht generell gegen die alawitische Minderheit richten. Die Syrer sind stolz auf ihre Vielfalt. Der Hass, der jetzt gerade zwischen den Gruppen wächst, ist hoffentlich ein vorübergehendes Phänomen. Eine der wichtigsten Aufgaben der Nationalen Koalition besteht darin, die alawitische, christliche und drusische Minderheit in die Zukunftsplanung miteinzubeziehen. Und natürlich die Kurden.

derStandard.at: Welche Rolle spielen die Kurden, die ja die größte ethnische Minderheit bilden?

Helberg: Hier liegt großes Konfliktpotenzial. Wir sehen schon jetzt, dass das Verhältnis zwischen Kurden und Arabern im Nordosten Syriens immer spannungsreicher wird. Das Regime lässt dort die bewaffnete PKK-nahe syrische Partei PYD gewähren, so dass diese vielerorts die Autorität übernimmt. Grundsätzlich hegen die kurdischen Syrer zwar wenig Sympathie für die PKK. Aber wenn sich die Kurden am Ende zwischen der arabischen Freien Syrischen Armee und der PKK entscheiden müssen, werden sie vermutlich die PKK wählen. Dieses Misstrauen gegenüber den eigenen arabischen Landsleuten sitzt tief und ist politisch bewusst gezüchtet worden. Seit den Sechziger Jahren hat das Assad-Regime gezielt Arabisierungsprogramme betrieben. Es wurden arabische Dörfer gegründet und Gesetze erlassen, die sicherstellten, dass der Nordosten Syriens nicht von Kurden dominiert wurde.

derStandard.at: Was wäre das schlimmste Zukunftsszenario für Syrien?

Helberg: Dass Syrien in verschiedene Regionen zerfällt und damit zu einem "failed state" wird. Bashar al-Assad endet als Kriegsherr im Küstengebiet, wo er mit alawitischen Einheiten und den Shabiha-Milizen die Kontrolle behält, während in anderen Teilen Syriens verschiedene Gruppen um Einfluss und Macht kämpfen.

derStandard.at: Und das wahrscheinlichste Szenario?

Helberg: Die Kämpfe werden vermutlich noch Monate, womöglich Jahre weitergehen. Ein Plan der Nationalen Koalition ist es, in den befreiten Gebieten des Nordens ein Post-Assad-System mit einer organisierten Verwaltung, einer einheitlichen Militärstruktur und einer geregelten Gerichtsbarkeit zu etablieren. Auch um den Syrern eine Perspektive aufzuzeigen: So könnte die Zeit nach Assad aussehen. Das Problem ist die Lufthoheit des Regimes. Kampfjets zerstören jeden Tag gezielt die Infrastruktur in diesen Gebieten - Straßen, Krankenhäuser, Getreidesilos. Hier wäre die Internationale Gemeinschaft mit einer Flugverbotszone gefragt. Ob das wahrscheinlich ist? Ich bin skeptisch, aber nicht ohne Hoffnung. (mhe, derStandard.at, 15.11.2012)