Amaryllis Sommerer liest am 22. 11. um 14 Uhr auf der FM4-Bühne der Buch Wien.

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Keine Geschwätzigkeitsprosa. Kein Sprachbild zu viel. Jeder Satz maßgeschneidert. Ein Toter und sechs schuldbewusste Menschen, ja, Amaryllis Sommerer hat wieder einen Kriminalroman geschrieben. Und doch auch nicht. Verbrechen, Verdächtigungen, polizeiliche Ermittlungen, gefasste Täter, obsiegende Gerechtigkeit: So simpel strickt sie ihre Geschichten nicht. Weder ihr Erstling Selmas Zeichen (2008), noch Keine Wunde, nichts (2010) und auch nicht ihr jüngster Roman Ulrich und seine Täter (alle im Verlag Milena erschienen) sind platte Whodunnit-Plots, sondern präzis zugespitzte Gesellschaftsanalysen und prototypische Charakterstudien.

Lakonisch, atemlos, wortspielerisch spürt sie den "in der Jauchengrube des Lebens" versickernden Sehnsüchten, Wünschen, Eitelkeiten, Ängsten ihrer Figuren nach, im jüngsten Fall jenen von Fernsehserienschreibern. Vergleiche zu angloamerikanischen Psycho-Crime-Ladies können durchaus gezogen werden. Wenn man möchte. Muss man aber nicht. Amaryllis Sommerer ist eine Klasse für sich. Eine sprachkünstlerische Wortklauberin im besten Sinn.

Und eine Spätberufene, was das Romanschreiben angeht. Geboren 1954 in Wien-Ottakring, aufgewachsen im Arbeitermilieu "mit null kultureller Bildung und ohne Bücher, wusste ich schon als Kind, dass es mehr geben muss".

Was, das ahnte sie, als ihr ein Freund Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit in die Hand drückte: "Ich war 16 und habe natürlich überhaupt nicht verstanden, worum es geht. Aber ich war total fasziniert davon, was Sprache sein kann."

Sie studierte kurz Kostümbildnerei an der Angewandten, jobbte in einem Kellertheater, später als Regieassistentin beim Film. Und schenkte sich, als Akt der Selbstbestimmung, einen neuen Vornamen. Es war, sagt sie, eine Art "Entwicklungshilfe zu einer bestimmten Qualität: Es gibt ja die Theorie, dass der Klang des Namens, seine Bedeutung, auf den Träger, die Trägerin abfärbt. Ich wollte die Wirkung der Amaryllis. Sie ist mit der kräftigen, roten Blüte, ihrem saftigen Stamm ein Sinnbild für mich."

Sommerers erstes Drehbuch wurde zwar gefördert, aber nicht realisiert; das zweite - Gekaufte Bräute - von Käthe Kratz fürs Fernsehen, das dritte - Biestie Girl - von Johannes Fabrick fürs Kino verfilmt. Zur Jahrtausendwende dann der Ein- und 2005 der Ausstieg als Serienautorin bei Schlosshotel Orth: "Da habe ich die Mechanismen kennengelernt, die Strukturen, die verschiedenen Berufsbilder eines Drehbuchautors, Doch nach drei Jahren hatte ich das Gefühl, ich weiß wie's geht. Ich sehnte mich danach, Geschichten zu entwickeln, die ich selbst bestimmen, meine Ansprüche verwirklichen konnte." Also Prosa. Selmas Zeichen wurde 2009 für den Glauser-Krimipreis in der Sparte Debüt nominiert; Keine Wunde, nichts landete auf der Longlist für den Glauser 2010.

Ihre Erfahrungen als Serienschreiberin hat sie mit Sprach verve und -witz in ihrem dritten Krimi verwertet: ein Programmchef, der gleich auf den ersten Seiten seinem Tod entgegenröchelt; drei Frauen und zwei Männer, die als mehr oder weniger neurotische Drehbuchautoren Fernsehfutter in Serie anliefern; der Fernseh-Redakteur, der seinen ersehnten Aufstieg in die Chefetage mit verbotenen Substanzen pflastert.

Doch Ulrich und seine Täter ist kein klamaukes TV-Bashing, sondern gesellschaftskritische Beschreibung aller hierarchischen Arbeitssysteme: "In der Chefetage schaut man, dass man oben bleibt; wer unten ist, will nach oben. Die in der Mitte müssen sich nach allen Richtungen orientieren, um zu überleben. Diese Sandwichpositionen haben es besonders hart." (Andrea Schurian, Album, DER STANDARD, 17./18.11.2012)