"Ich bilde mir ein, in den letzten zehn Jahren nicht langsamer geworden zu sein."

Foto: Pokorny

WienEs ist gar nicht so einfach Peter Pokorny telefonisch zu erreichen. Der ehemalige Daviscup-Spieler und – Kapitän ist viel unterwegs. Auf seinen Reisen durch Europa gewinnt der Österreicher reihenweise Tennisturniere und schließt das Jahr 2012 souverän als Nummer 1 der ITF-Weltrangliste der Über-Siebzigjährigen ab. Philip Bauer sprach mit ihm über alte und ältere Zeiten.

derStandard.at: Sie haben in dieser Saison zwei Spiele verloren. Wird dieses ewige Gewinnen nicht irgendwann langweilig?

Peter Pokorny: Ich stelle Ihnen eine Gegenfrage: Wenn man als Kaufmann heute und morgen ein gutes Geschäft macht, will man dann übermorgen leer ausgehen?

derStandard.at: Nicht unbedingt, das erfordert aber Disziplin. Wie viele Stunden trainieren Sie täglich?

Pokorny: Etwa zwei Stunden pro Tag. Drei Stunden kommt selten vor, kann aber auch passieren. Ich spiele mit einem Freund seit 40 Jahren, der ist mittlerweile 79. Sie können sich vorstellen, dass da nicht mehr allzu viel rauskommt. Deswegen habe ich auch jüngere Partner wie den ehemaligen Eishockey-Spieler Peter Znenahlik. Der fordert mich.

derStandard.at: Und wo kann man sich nach 67 Jahren am Tennisplatz noch verbessern?

Pokorny: Die Schläge kann man immer wieder verbessern. Ich habe im Laufe der Zeit viele verschiedene Techniken erlernt. Man darf nicht auf seinem alten Standard stehen bleiben. Sowohl als Tennisspieler als auch als Skifahrer.

derStandard.at: Als Skifahrer?

Pokorny: Zu Beginn meiner sportlichen Laufbahn gab es ja noch keine Tennishallen, wir konnten einige Monate im Jahr gar nicht spielen. Ich war also im Winter Skilehrer und bin Skirennen gefahren.

derStandard.at: Und sobald es wieder wärmer wurde...

Pokorny: ...bin ich an die französische Riviera gefahren. Monte Carlo Anfang der 60er-Jahre, das war schon eine Sensation. Ab März waren immer ein paar hundert Tennisspieler aus Europa da, die alle trainieren wollten.

derStandard.at: Wie darf man sich das damalige Training vorstellen?

Pokorny: Einen Trainer hatte ich nur einmal im Jahr, knapp vor dem Daviscup. Ein professionelles Training im heutigen Sinn war also gar nicht möglich. Es wurde nichts gezielt geübt, Training fand im Rahmen des Spiels statt.

derStandard.at: Gab es Unterstützung durch den Verband?

Pokorny: Eine minimale. Im Großen und Ganzen mussten wir uns alles selber zusammenstoppeln, auch die Reisen nach Wimbledon und Paris. Nur im Daviscup wurde der Aufenthalt bezahlt.

derStandard.at: Wie kamen Sie finanziell über die Runden?

Pokorny: Tennis hat mir so viel gebracht, dass ich zumindest leben und spielen konnte. Am Italian Circuit habe ich zum Beispiel in Reggio di Calabria, Catania, Palermo und Rom gespielt. Pro Turnier bekam ich 100 Dollar, davon waren 10 Dollar Nenngeld, Anreise und der Aufenthalt zu bezahlen.

derStandard.at: Glanz und Glamour sehen anders aus.

Pokorny: Es gab auch ein paar reiche Jungs, der Schnitt war aber klamm. Über Chips und ein kleines Essen zu Turnierende haben wir uns gefreut. Da haben wir uns den Bauch vollgeschlagen. Wir waren Nomaden des Tennissports. Man hat eben ein paar Groschen zusammengelegt, die man dann an der Riviera wieder ausgegeben hat.

derStandard.at: Gab es nicht die geringsten Privilegien?

Pokorny: In Schwechat gab es die erste Tennishalle. Das war ein alter Kinosaal. Die Halle war immer bis Mitternacht vermietet, dann haben wir bis zwei oder drei Uhr in der Früh trainiert. Dann konnten wir dort in ein paar Betten schlafen und haben in der nächsten Nacht wieder trainiert. Es war sehr nett, dass man uns kostenlos spielen ließ.

derStandard.at: Wie entstand diese anhaltende Liebe zum Tennissport?

Pokorny: Ich war keines der Kinder, die von den Eltern zum Tennisplatz gebracht wurden. Wir hatten kein Geld, mein Vater ist im Krieg gefallen. Wir haben aber zufällig neben einem Tennisplatz gewohnt. Das war unser Kinderspielplatz. Ich habe meine Kindheit sportlich spielend verbracht. Nicht nur mit Tennis, sondern auch mit Fußball, Tischtennis, Eislaufen und eben Skifahren. Sport war für mich immer wichtiger und lustiger als Studieren.

derStandard.at: Und wann fiel die Entscheidung zu Gunsten des Tennisballs?

Pokorny: Irgendwann zwischen sechzehn und achtzehn. Ich war schon österreichischer Jugendmeister, habe 1958 schon das Junioren-Turnier von Wimbledon gespielt. Allerdings erfolglos. Gras war für mich nicht durchschaubar. Aber ich habe das erste Mal richtig gute Spieler gesehen, das hat mich fasziniert.

derStandard.at: Heute lassen Sie Ihre Gegner auf der Senioren-Tour alt aussehen. Wie kommt es zu dieser Dominanz?

Pokorny: Das ist eine Frage der Konzentration, man ist ein bisschen besser als der Gegner und macht die wichtigen Punkte. Hätte Federer beim ATP-Finale die wichtigen Punkte gegen Djokovic gemacht, wäre er wohl auch als Sieger vom Platz gegangen.

derStandard.at: Jetzt betreiben Sie aber Understatement. Sie haben bei Ihrem Turniersieg auf Mallorca in fünf Spielen vier Games abgegeben. Das waren wohl nicht nur die wichtigen Punkte.

Pokorny: (lacht) Ach was, ich spiele immer nur den nächsten Punkt, den will ich machen. Die Games zähle ich gar nicht wirklich mit.

derStandard.at: Sind Sie den Gegnern vielleicht in puncto Fitness so überlegen?

Pokorny: Ich bilde mir ein, in den letzten zehn Jahren nicht langsamer geworden zu sein. Es geht vor allem darum, sich fit zu halten. Im Läuferischen werde ich mich aber nicht mehr verbessern.

derStandard.at: Wie viel Tage im Jahr sind Sie heute noch in Sachen Tennis unterwegs?

Pokorny: Heuer waren es rund vier Monate. Ich reise ganz gerne, vor allem mit dem Auto. In den Flieger steige ich ungern. Turniere in Übersee lasse ich aus.

derStandard.at: Flugangst?

Pokorny: Nein, eigentlich nicht. Aber ich war ein paar Mal in Australien. Das ist mir zu weit weg, der Flug dauert zu lang. Die Anreise ist mir für ein Turnier einfach zu umständlich.

derStandard.at: Wie scharf ist der Konkurrenzkampf unter Senioren?

Pokorny: Wir trainieren gemeinsam, haben Spaß am Abend, da geht es freundschaftlich zu. Das war nicht immer so, wir sind im Alter alle ein bisschen gescheiter geworden. Es können auch nicht immer alle anreisen: den einen plagt ein Wehwehchen, der andere ist abgetreten. Das passiert bei uns leider hie und da.

derStandard.at: Gibt es Erzrivalen, mit denen Sie sich seit Jahrzehnten messen?

Pokorny: Harald Elschenbroich! Bodo Nitsche! Mit manchen duelliere ich mich seit den frühen 60er-Jahren. Damals war es eng, in der Seniorenzeit ebenso. Erst in den letzten Jahren konnte ich etwas davon ziehen.

derStandard.at: In welchen Jahren haben Sie Ihre schönsten Erinnerungen im Tennis gesammelt?

Pokorny: Primär in jungen Jahren. Wir haben im Daviscup mit Hans Kary in England gewonnen. 1973 habe ich in Bremen die internationale deutsche Hallenmeisterschaft gewonnen. Das war schon ein großer Erfolg. Unter dem Strich hat mir Tennis aber immer Freude bereitet.

derStandard.at: Gegen den ehemaligen Wimbledon-Finalisten Wilhelm Bungert haben Sie einst im Daviscup knapp verloren. Eine der wenigen ärgerlichen Erinnerungen?

Pokorny: In dem Moment schon, ich hatte zwei Matchbälle. Aber ich stand in der Zeitung und war stundenlang im Fernsehen zu sehen. Das war doch auch schön.

derStandard.at: Wie würden Sie als ehemaliger Daviscup-Kapitän den aktuellen Zustand des heimischen Tennissports beschreiben?

Pokorny: Es hängt alles von einem Spieler ab. Und der ist leider auch nicht sehr konstant. So war es aber eigentlich immer, mit Ausnahme der Zeit mit Muster, Skoff und Antonitsch. Zu meiner Zeit war Kary der Leistungsträger. Aber es grenzt schon an ein Wunder, dass wir uns immer in der Weltgruppe halten. Momentan können wir aber auch auf ein starkes Doppel zählen.

derStandard.at: Und wo bleibt der Nachwuchs?

Pokorny: Schwierig zu sagen. Viele trainieren wie die Wahnsinnigen, haben tolle Schläge, hauen drauf wie die Ochsen. Aber vielleicht fehlt es an Spielwitz. Früher gab es nur eine Jugendklasse. Der 12-Jährige musste sich mit den 18-Jährigen messen und den körperlichen Nachteil durch List und Tücke ausgleichen.

derStandard.at: Und wie lange wollen Sie noch Ihre Gegner austricksen?

Pokorny: So lange es geht. Das schönste Abtreten wäre für mich auf dem Tennisplatz. (Philip Bauer; derStandard.at; 20.11.2012)