Der Titel von Ruth Cerhas neuem Roman ist jedenfalls gut gewählt. Zehntelbrüder, also männliche Familienangehörige derselben Generation, bei deren Zeugung ein eigener Elternteil nur noch ganz am Rande mitspielte, sodass das Verwandtschaftsblut noch wesentlich verdünnter als bei Halbbrüdern ausfällt, kann sich so etwas ausgehen? Nein, selbst im Buch der gebürtigen Wienerin Cerha geht sich das nicht aus. Doch auch das um den Ich-Erzähler Mischa geknüpfte Familiengeflecht macht es allen Beteiligten schwer genug, den Überblick zu behalten.

Seine Mutter Margit zog Mischa erst allein auf, besorgte ihm später per Heirat Halb- und Stiefbrüder und machte sich schließlich aus dem Staub. In der Folge kümmerte sich der eher halbfreiwillig mit der Erzieherrolle beauftragte Stiefvater Janek in seiner lebensfrohen Art um die weitere Verästelung des Familienstammbaums, ehe er das Patchwork-Gestrüpp ebenfalls fluchtartig verließ.

Es ist also alles sehr kompliziert und dem als DJ ausreichend erfolgreichen Mischa hoch anzurechnen, dass er trotz seiner turbulenten Jugendjahre ein so reflektierter wie offener Berufsjugendlicher geworden ist. Ins Wanken gerät er erst, als seine Beziehung zu Freundin Hannah kriselt. Hannah ist älter, und ihre Wünsche bezüglich Familienplanung gehen dem in dieser Hinsicht Sensibilisierten zu weit. Die unausgesprochene Trennung des Paares ist der Ausgangspunkt des Romans.

In kurzen Kapiteln schildert Mischa abwechselnd seine bisherige Familiengeschichte und sein gegenwärtiges Hin und Her zwischen der aufregenden Partybekanntschaft Nella, Doch-Liebe Hannah und der Verantwortung für seinen in schlechten Kreisen verkehrenden Halbbruder Jul. Das Konzept funktioniert. Die detaillierten Verwandtschaftsverhältnisse enthüllen sich so erst schrittweise, die Spannung des eigentlichen Plots wird durch die ständigen Unterbrechungen erhöht.

Im sich rasch einstellenden Lesefluss sieht man großzügig darüber hinweg, dass Mischas Sprache zuweilen etwas platt und gleichzeitig trotz bemühten Namedroppings nicht gänzlich glaubwürdig ist (Nella beispielsweise hat "diese unglaubliche Stimme, so ähnlich wie Claudia Unterweger von FM4, einfach toll!"). Irgendwie wäre es dann doch interessant zu wissen, wohin Mischas Mutter verschwunden ist und welches Geheimnis hinter Nella steckt, deren Bruder vor lauter falsch verstandenem Beschützerinstinkt anscheinend auch vor roher Gewalt nicht zurückschreckt.

Leider kann Ruth Cerha mit keinen spannenden Antworten aufwarten. Das mühsam herbeikonstruierte Showdown der halben Verwandtschaft mit dem auf Ibiza lokalisierten Janek verläuft ebenso im Sand wie Mischas Affäre mit Nella, die Entwicklung des Protagonisten derart erwartungsgemäß, dass kaum von einer solchen zu sprechen ist.

Wenn Cerha in einer Art Anhang die Protokolle der Befragungen von fünf Familienmitgliedern wiedergibt, ist das zwar ein interessantes Stilmittel, macht allerdings zugleich deutlich, dass die Autorin keinen Weg gefunden hat, ihren Mischa sämtliche Stränge eigenhändig zu einem runden Ende zusammenführen zu lassen. (Dorian Waller, Album, DER STANDARD, 15./16.12.2012)