Sonja Eismann (Hg.): Absolute Fashion.
Orange Press 2012
ISBN: 3-936086-57-5

Foto: orange press

"Ein Mensch, der in der Mode nur die Mode sieht, ist ein Trottel", sagte einst der französische Schriftsteller Honoré de Balzac. Dass Mode wesentlich mehr umfasst als bloß Bekleidung, ist heute eine weithin akzeptierte Einsicht. Dem war jedoch nicht immer so: Lange Zeit ein Synonym für Weiblichkeit und als kapitalistische "Groteske" abgestempelt, hat sich Mode erst während der letzten Jahrzehnte als "würdiger" Forschungsgegenstand etabliert. So vereint der relativ junge, transdisziplinäre Wissenschaftszweig der "Fashion Studies" neben philosophischen und ästhetischen unter anderem auch soziologische, psychologische, anthropologische und ökonomische Perspektiven auf Mode.

The rules of fashion

Mode ist alltäglicher Gebrauchsgegenstand, kommerzielles Produkt und künstlerischer Entwurf zugleich. Über sie konstituieren sich nicht nur soziale Identitäten (zum Beispiel Klassen- oder Religionszugehörigkeit) - Mode macht auch gesellschaftlichen Wandel sichtbar, wie etwa die historisch veränderlichen Bekleidungsnormen der Geschlechter zeigen. Gerade diese multiplen Funktionen machen es schwer, das Wesen der Mode zu fassen, wie Sonja Eismann feststellt. Die in Berlin lebende Kulturwissenschaftlerin und Mitbegründerin der feministischen Pop-Zeitschrift "Missy Magazine" hat soeben den Reader "Absolute Fashion" herausgegeben. Auf knapp 220 Seiten versammelt der neueste Band aus der Sachbuchreihe "Absolute" beim Orange-Press-Verlag Grundlagentexte zum Thema, mit Auszügen von Thorstein Veblen, Georg Simmel, Walter Benjamin, Roland Barthes, Pierre Bourdieu, Angela McRobbie, Dick Hebdige, Elena Esposito und weiteren.

Unterteilt in die Kapitel "Klasse", "Distinktion", "Utopie" und "Abweichung", denen jeweils kurze, aber sehr erkenntnisreiche theoretische Einführungen der Herausgeberin vorangestellt sind, präsentiert der Sammelband verschiedene Perspektiven auf das komplexe Themenfeld: Kleidung als materielles Gut und "Class Fashion", "No Sweat" und die Rechte von Textilarbeiterinnen in den Ländern des Südens, die Bedeutung von Mode und Stil in Subkulturen, Second-Hand-Kleidung, die symbolischen Gesten der "Anti-Mode", ethisches Mode-Branding, das Verhältnis zwischen Haute Couture und Kultur, Unisex-Mode und vieles mehr.

Mode "von unten"

Der älteste Beitrag stammt von 1853 ("Kleidungsreform" von der US-amerikanischen Feministin Amelia Bloomer), der jüngste entstand im letzten Jahr: Im Gespräch mit Mary Scherpe (vom 2006 gegründeten ersten deutschsprachigen Modeblog stilinberlin.de) werden unter anderem erhellende Blicke auf das Phänomen der Modeblogs geworfen. Ob denn Fashion-Blogs mit ihren Fotos, die die "Vielfalt auf der Straße" und "Mode von unten" abzubilden scheinen, tatsächlich mehr Diversität in die etablierte Modeszene mit seinen viel kritisierten, weil eindimensionalen Körperbildern gebracht haben? Mary Scherpe antwortet nüchtern: "Die Modewelt hat sich vielleicht nur ein wenig demokratisiert, dafür aber immens vergrößert."

Währenddessen behandeln die Kurzinterviews des Konzept-Modelabels "__fabrics interseason", das zwischen 1998 und 2011 in Wien aktiv war, das ebenso spannende wie vollkommen vernachlässtigte Thema "feministische Dresscodes" - und hinterfragen in diesem Zusammenhang auch die medial kursierenden Klischeebilder von "Emanzen".

Lookism, Sizeism, Ableism

Ist Mode also politisch? Unbestritten erzählt Mode stets auch von gesellschaftlichen Verhältnissen - und damit auch von Geschlechterrollen. Der Argumentation der Modetheoretikerin Barbara Vinken folgend, verläuft seit der Französischen Revolution die vestimentäre Trennlinie nicht mehr zwischen den Klassen (Adel vs. Bürgertum), sondern zwischen den Geschlechtern. Diente Kleidung bis ins 18. Jahrhundert vor allem dem Zweck, die Klassenzugehörigkeit eines Menschens sichtbar zu machen, kennzeichnete sie im 19. Jahrhundert auf neue, rigorose Weise die Geschlechtergrenzen: Nunmehr sollten sich Frauen auch wie "wie Frauen" kleiden.

Das bewusste Übertreten gesellschaftlicher Konventionen mittels Kleidung macht jedoch deutlich, dass Mode nicht bloß gesellschaftliches Spiegelbild ist, sondern auch ein konkretes Interventionsfeld darstellt. So beschreibt das Buchkapitel "Abweichung", wie etwa Dicksein und Ableism ("Behinderung") als Politikum die herrschenden Körpernormen der Modewelt - genauer: weiße, dünne, junge Frauenkörper - herausfordern. Auch die devianten Strategien des Cross-Dressing und der "Drag Culture" beinhalten emanizpatorisches, weil veränderndes Potenzial.

Doch hat die Fähigkeit des Mainstreams, Impulse aus subkulturellen Milieus für sich zu vereinnahmen, vielerorts die Differenz zu einer "karnevalistischen Feier" entschärft. Im Gegensatz dazu gebe es bei den modischen "Hipstern" der Gegenwart "weder Missklang noch Opposition", gibt sich Eismann in "Absolute Fashion" kritisch. Eine Lektüre, die sich von Anfang bis Ende als schwer empfehlenswert offenbart. (Vina Yun, dieStandard.at, 3.1.2013)