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Amtsinhaber Serge Sarkissian am Spitalsbett des verletzten Kandidaten Parujir Hajrikian: Täter gefasst, Motiv unklar.

Foto: Reuters/Mehrabyan

Eriwan/Istanbul – Der eine protestiert mit einem Hungerstreik im Zentrum von Eriwan, der andere hat ein Attentat überlebt und will nun die Uhr aufhalten. Die "kleinen" Kandidaten bestimmen die Präsidentenwahlen in Armenien, denn der eine "Große" gewinnt sowieso: Amtsinhaber Serge Sarkissian liegt in Umfragen so weit vorn, dass sein Sieg schon in der ersten Runde als sicher gilt. Nur wann das sein wird, muss jetzt die Wahlkommission entscheiden.

Eine Woche vor dem Urnengang am 18. Februar hat sich Parujir Hajrikian eines anderen besonnen und wollte am Sonntag nun doch die Verschiebung des Wahltermins um zwei Wochen beantragen. Er könne seine Hand nicht bewegen und habe starke Schmerzen, erklärte der Präsidentschaftskandidat. Auf Hajrikian war Ende Jänner gefeuert worden. Der 63-Jährige, ein Dissident aus Sowjetzeiten und Chef der kleinen Union der Nationalen Selbstbestimmung, war unterhalb des Schlüsselbeins getroffen worden, kam aber glimpflich davon. Das Gesetz lässt ihm die Möglichkeit, einen neuen Wahltermin zu beantragen, sollten "unüberwindbare Hindernisse" seinen Wahlkampf verhindern. Bei der Wahl dürfte er bisherigen Umfragen zufolge kaum mehr als fünf Prozent bekommen.

Die mutmaßlichen Attentäter wurden am vergangenen Freitag verhaftet. Sie hätten bereits gestanden, gaben die Behörden an. Das Motiv für die Tat ist noch unklar. Dass der Anschlag auf den Kandidaten die Wahlen durchein anderbringen sollte, scheint aber eine plausible Annahme.

Vor den Stufen am Sitz der Akademie der Wissenschaften in Eriwan hat wiederum Andreas Ghukasian seine Liege aufgeschlagen und ein Zelt aus Plastikfolie gespannt, um vor Wind und Schnee geschützt zu sein. Der 42-Jährige tritt ebenfalls als Kandidat an, hungert aber seit Beginn des Wahlkampfs am 23. Jänner. "Stoppt die Scheinwahlen", heißt seine Parole. Ghukasian, Direktor des pri vaten Radiosenders Haj, verlangt von der Wahlkommission nicht weniger, als die Registrierung des Kandidaten Serge Sarkissian zurückzunehmen.

Schatten über Sarkissian

Wahlmanipulationen und die zehn Toten während der Massenproteste bei den Präsidentenwahlen 2008 überschatteten die erste Amtszeit des Staatschefs. Unter Sarkissians Führung arbeitete sich Armenien nur langsam aus den Folgen der globalen Finanzkrise von 2009 heraus, die das Land ungleich härter trafen als seinen feindlichen Nachbarn Aserbaidschan oder die Türkei.

Die meisten seiner wichtigen politischen Gegner hat Sarkissian zermürbt oder ausgeschaltet. Oppositionsführer Lew Ter-Petros sijan ist gar nicht erst angetreten. Er fühle sich zu alt, sagte der frühere Staatschef, der im Jänner 68 wurde. Auch die Nationalisten der Daschnak-Partei boykottieren die Wahl. Mit Giga Tsarukian, dem angeblich reichsten Mann des Landes und Chef der Partei Wohlhabendes Armenien, einem zeitweiligen Koalitionspartner, setzte sich Sarkissian ins Benehmen. Tsarukian, ein populärer Ex-Ringer, verzichtete auf eine Kandi datur. Gegen einen anderen Politiker seiner Partei, den früheren Außenminister Vartan Oskanian, setzte die Regierung vorsorglich die Justiz in Gang.

Übrig blieb Raffi Hovanissian (53), erster Außenminister des  unabhängigen Armenien in den 1990er-Jahren, ein Mann der Diaspora aus Los Angeles, Sohn des Historikers Richard Hovanissian. Für ihn zumindest ist die Wahl eine Genugtuung. Jahrelang hatte ihm das Regime eine Kandidatur mit dem Argument versagt, Hovanissian habe nicht lange genug im Land gelebt. Jetzt sammelt er Stimmen der Sarkissian-Gegner. Rund 30 Prozent könnten es werden. (Markus Bernath, DER STANDARD, 11.2.2013)