Richtiges Rasieren ist eine Kunst, die man lernen kann - Um das zu verstehen, müssten viele Männer erst einmal erkennen, dass Rasieren eine Kunst ist

Männer fragen nicht nach dem Weg - und kommen trotzdem an. Das hat schon auch mit dem Rasieren zu tun. Meint David Dorn. Dorn weiß, wovon er spricht: Der gelernte Friseur rasiert. Männer. Genauer: Er gibt Männern Nachhilfe im richtigen Rasieren - obwohl er das nie so sagen würde.

Schließlich gibt es nur wenig, was Männer noch weniger mögen, als nach dem Weg zu fragen: Gesagt zu bekommen, dass sie etwas falsch machen, etwa. Noch schlimmer wird das, wenn dies vor den Augen und Ohren von Freundin oder Frau geschieht. Deshalb gilt bei den von David Dorn in Marga Walchers Rasurfachgeschäft "Esbjerg“ regelmäßig abgehaltenen Workshops für Frauen ein ehernes Gesetz: Sie müssen draußen bleiben.  Zum Glück gibt es in der Krugerstraße in der Wiener City Gastronomiebetriebe.

Foto: derstandard.at/gueb

Männer, sagt David Dorn, lernen rasieren von den Vätern. Per Copy-Paste-Prinzip. Und weil Männer in Körperpflegefragen vor allem ergebnisorientiert denken, sind sie damit zufrieden. Meistens. Und zwar bis sie sehen - oder noch besser: erleben - wie es richtig geht. Besser. Angenehmer. Unfallfreier. Schneller? Nicht zwingend. Wie man Männer zu diesem Initialerlebnis bringt? Das ist wie die Frage nach Henne & Ei. Oder: War es zumindest.

Denn die Zeiten, sagt Marga Walcher, ändern sich. Und mit ihnen die Männer. Das, weiß die Rasiershop-Chefin selbst, sagt ihre Branche seit langem. Aber ganz daneben, betont sie, könne sie mit ihrer Behauptung nicht liegen: Der Laden würde sonst nicht brummen. Und Walcher würde kaum Rasierpinsel um 136 Euro anbieten. Oder Designergriffe für handelsübliche Einwegklingen um 108 Euro. Oder ...

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Aber da wäre auch noch die Sache mit dem Copy-Paste-Rasierwissen - und nie geklärte Fragen: Wieso Haare einwachsen etwa. Wieso der Hals an manchen Tagen nach der Rasur aus roten Flecken besteht. Wieso manche Klingen aus ein und der gleichen Packung nur eine Backe, andere über Wochen scharf sind. (Walcher weist die Vermutung, Letzteres habe mit Soll-Abstumpfstellen die von der auf Absatzmaximierung bedachten Industrie eigens entwickelt würden, vehement zurück - hat aber trotzdem keine Antwort.)

Die übrigen Fragen kann sie beantworten. Auch jene die Männer gar nicht stellen - weil man bei "Copy-Paste" nicht auf sie kommt.

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Hier kommt David Dorn ins Spiel. Das Spiel beginnt wie der Barbierbesuch im Mafiafilm (endet aber gut): Mit einem warmen Handtuch, das David Dorn dem Probanden übers Gesicht legt. Je besser die Haut angewärmt wird und je intensiver Haare und Haut die Feuchtigkeit aufnehmen, umso einfacher, schneller, unblutiger und angenehmer ist dann die Rasur.

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Im Alltag, empfiehlt der Profi, helfe es, der Haut Zeit zum Aufwachen zu geben. Mindestens 20 Minuten. Oder in der warmen Dusche vorzuwärmen. Optimal sei es, in oder nach Sauna oder Dampfbad zu rasieren. Aber das ist schon ein bisserl Out-of-this-World.

Rasieren ist wie Ausmalen: Präzise Vorbereitung (beim Ausmalen: das Abkleben von Böden und Fenstern) kostet vorne Zeit - spart die aber hinten doppelt ein, weil Putzen und Reparieren wegfallen.

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Das gilt auch für Werkzeug und Material: Zu wenig, die falschen oder gar nicht ordentlich einziehend-anfeuchtende Rasierschäume (egal ob per Pinsel zu dickem Schnee geschlagen oder als Gel direkt aufgetragen) verkleben den Rasierer. Machen die Haut zäh. Motivieren Haare zum Einwachsen. Führen zu Hackern und Cuts - und lassen neben blutigen Flecken zurück, was man in der Früh am allerwenigsten braucht: Grant und Ärger.

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Was genau Mann an Hardware brauche, betonen Walcher und Dorn, könne man pauschal nicht sagen: Das Messer aus den Filmen? Das optisch idente Pendant, bei dem per Einlegeklinge nicht nur das stilvolle Schärfen am Lederriemen entfällt, sondern auch jedes Hygiene-und Infektionsrisiko? Der Hobel der Wirtschaftswunderväter, der angesichts  der Erinnerung an juvenile Gesichtsmassaker ("Copy-Paste") zu Unrecht  "Safety Razor" heißt?

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Oder der - in Wirklichkeit alles andere als billige - Einweg- oder Wechselklingenschaber? (Dessen Leben man im Übrigen durch das Lagern auf speziellen Magnet-Ablagen signifikant verlängern kann - auch wenn das die Hersteller nicht gerne hören.) Kein Thema sind hier Trockenrasierer: Nass oder trocken ist wie Rapid oder Austria: Wer sich entschieden hat, konvertiert nicht. Das hat auch die Industrie akzeptiert. (Auch wenn es kein Marketingmensch zugibt. Zugeben darf).

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Rasieren ist ein bisserl wie Sex: Das Gerät  ist wichtig - aber Geschmackssache. Viel wichtiger ist es aber, damit umgehen zu können. Es richtig anzuwenden und einzusetzen. Zu wissen, wo was gerade mal funktioniert, wirklich Freude bereitet - oder voll daneben geht.

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Gesicht und Hals, zeigt Dorn, haben viele sensible Regionen und Stellen. Jede hat Bedürfnisse und Vorlieben: An Kinn und Oberlippe etwa sind die Haare starrer. Härter. Dicker. Wasauchimmer. Sie brauchen mehr Vorspiel - also Einweich- und Aufwärmzeit. Barthaare sind wie Haustiere: Nie gegen den Strich bürsten. Oder schaben: Wer drauf achtet, in welche Richtung die Stoppeln wuchern, erspart sich rote Flecken und eingewachsene Haare.

Und: Barthaare (hier sind wir wieder beim Sex) verhalten sich eigensinnig, individuell und einzigartig - manche verstecken sich. Manche wollen aus der Reserve gelockt werden. Der Einheitshobel im Einheitsrhythmus schafft nur Ärger und Verdruss.

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Freilich ist manches auch einfach. Oder einfacher geworden. Vielleicht ja nur ehrlicher: Dass viele Männer ab Mitte 20 frisurtechnisch schon Erwin Pröll nacheifern, ist keine Entwicklung der vergangenen fünf Jahre. Das war schon immer so. Doch heute ist es einfacher, dazu zu stehen - oder gar die Flucht nach vorne anzutreten. Also sich als Mitohnehaaremann zu zeigen. (Auch wenn das Geschäft mit - wenn sie nicht heftige Nebenwirkungen haben dürfen - recht wirkungslosen Tinkturen und sauteuren Haarverpflanzungen immer noch Milliarden abwirft.)       

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Der Weg von Onkel Erwins Natur-Tonsur zu Yul Brynner und Bruce Willis heißt: Totalschur. Und auch wenn David Dorn tröstend, beruhigend und ermutigend erklärt, dass das (schwindende) Haupthaar einfacher zu scheren ist, da es weit weniger komplex ist und wächst als der Gesichtsteppich, gibt es auch hier Tücken, Gefahren und Bedürfnisse.

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Letztere, weiß Jörg Bertram - der an dieser Stelle als neuer Akteur einsteigen darf -, stammen aus der Epoche des "Copy-Paste"-Zugangs: Männer wollen es schnell, effizient und einfach - und sind, wenn sie bekommen was sie wollen, treu und loyal. Zumindest wenn es um Dinge geht, die man für Geld kaufen kann. Autos etwa. Computer. Handys. Oder Pflegeprodukte. (Böse formuliert: Wo Männer Kompetenz simulieren müssen, tatsächlich aber keine Ahnung haben, verlassen sie sich auf das, was einmal funktioniert hat. Das darf man ihnen nie laut sagen. Und: Nein, mit Sex hat das nichts zu tun. Wirklich nicht.)

Jörg Bertram jedenfalls hat das erkannt. Als er Journalist war. Er schrieb für eine Frauenzeitschrift. Und zwar über die Glatze, die Flucht nach vorne - und die Suche nach Pflege für diese spezielle Stelle. Das Echo war umwerfend, sagt Bertram heute. Es kam von Männern. Das passt: Beauty und Pflege - Beckham hin, Metrosexualität her - gehört immer noch den Frauenmagazinen. Die männliche "Tiegelsafari" führt vom Bad bis in den Zeitschriftenstapel.

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Bertram sah, sinnierte - und bastelte eine Pflegeserie für den Mitohnehaare-Mann. So, wie Männer es wollen: Einfach und universell. Leatherman-artig eben: Bertrams Glatzenwaschmittel geht auch als Duschgel durch. Das Kopfrasiergel weicht auch Gesichtsbarthaare ein (umgekehrt ist das nicht selbstverständlich) - und das Schädel-After-Shave funktioniert auch als Körperspray: Frauen, sagt Bertram, hätten Spaß daran, jeweils spezielle Produkte zu finden - Männer aber sind dankbar für das One-for-all-Ding.

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Das Gleiche, sagt David Dorn, während er sich dran macht, die nach der Attacke mit scharfen Klingen gereizte Haut mit Alaunstein und kühlenden Tüchern zu beruhigen und zur Pflegecremen greift, gilt auch vor, bei und nach der Rasur: Mitohnehaar-Männer haben nämlich eine echte Problemzone. Eine die man ignoriert, bis man sie spürt. Die sich in der Platte spiegelnde Sonne ist nämlich böse: Bertram spricht von Studien, wonach die Hälfte aller Glatzenmänner über 40 erste Vorzeichen von Hautkrebs am Haupt zeigen.

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An Dorns Totalschur-Schulung liegt das aber nicht: Die Zahl der Männer, die bei ihm und Walcher gelernt haben, ist (noch) enden wollend. Aber der Sonne, sind drei von einem Ohr zum anderen drapierte Resthaare, egal. Die Ausrede, Mann schütze sich so vor dem Hautkrebs, zieht also nicht. Wobei sie ohnehin nicht kommt: Männer verwenden keine Ausreden, wenn es um diese nackten Tatsachen geht - sie sind schlicht und einfach ahnungslos. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 18.4.2013)

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