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Charles Lloyd, ein Könner der spontanen Poesie.

Foto: apa / EPA/ALBERTO MORANTE

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Jason Moran, ein traditionsbewusster Pianist mit Hang zur Modernität.

Foto: REUTERS/Miguel Vidal

Der Jazz ist ein bisschen in die Jahre gekommen, und das hat so seine scheinbar gewichtigen Konsequenzen. Jene, die sich um innovative Stilsprünge Verdienste erworben haben, sind aus biologischen Gründen mittlerweile nicht mehr zugegen (etwa Miles Davis und John Coltrane). Nur noch wenige der Erneuerer und miterfindenden Zeitzeugen, so wie Ornette Coleman, Cecil Taylor, Pharoah Sanders, Herbie Hancock, Wayne Shorter und Sonny Rollins, weilen also noch in der Szene - als authentische Übermittler von Erfahrungen aus großer Zeit. Man könnte also sagen, was jetzt an Musikern nachkommt, habe an der Erfindung des Stils, den diese pflegen, nicht mitgewirkt. Und das sei ein Nachteil. Ist es natürlich nicht.

Garantierte Eindringlichkeit

Es hat zu allen Jazzzeiten die Erfinder gegeben, aber auch jene, die innerhalb der neuen Sprache einen Individualstil erschaffen haben, der von besonderer Eindringlichkeit geprägt ist. In diesen Bereich fällt auch Saxofonist Charles Lloyd. Jahrgang 1938, hat der US-Amerikaner mit Leuten wie Eric Dolphy, Ornette Coleman, Charlie Haden, aber auch B. B. King und Keith Jarrett kooperiert. Meditationshalber zog er sich in den späten 1960ern aus der Szene zurück, um sich in den 1980ern von Pianist Michel Petrucciani wieder zum öffentlichen Musizieren überreden zu lassen. Seit einer Weile produziert er für das Label ECM, und jedes Mal stellt er unter Beweis, dass individueller, in die Tiefe gehender Sound plus frappante Improvisatorik ihre Wirkung entfalten können und die Frage nach Innovationen gar nicht erst aufkommen lassen.

Zuletzt bei Athens Concert (ECM/Lotus) hat Lloyd seine sanfte, aber mit Attacken durchzogene Lyrik u. a. zusammen mit dem jungen Pianisten Jason Moran vermittelt. Nun haben die beiden mit Hagar 's Song (ECM) ein Duoalbum vorgelegt, das noch ungeschminkter - die kammermusikalische Besetzung macht es möglich - sowohl die Qualitäten der beiden aufzeigt wie auch die Stimmigkeit ihrer musikalischen Beziehung.

Lloyd sagt es selbst: Jason "ist tief verwurzelt in der Tradition, die er in diverse Richtungen ausweiten kann. Er ist dabei sehr empfindsam und aufmerksam. Wenn ich dreimal nach rechts gehe, statt einmal nach links, ist er an meiner Seite, ohne dass man sich verbal darüber verständigen müsste." Das nennt man quasi blindes Verstehen, wobei Moran selbst auch nicht mit netten Worten geizt, die einen anderen Aspekt hervorheben: "Charles geht an die Musik mit großer Offenheit heran. Ich spiele gerne mit Leuten, die dich, das was du anzubieten hast, einbringen und dich die Musik interpretieren lassen. Charles ist ein großer Advokat des freien Denkens, was Musik anbelangt. Sie darf sich bei ihm im Moment entwickeln."

Das hört man auch auf dieser Duo-CD. Enthalten ist eine Hagar Suite, bei der es sanft zugeht, Lloyd zur Flöte greift und an seine afrikanischen Stilvorlieben erinnert. Auch hier jedoch keine reine Idylle: Es kommt zu Verdichtungen, und wenn Moran von akkordischem Spiel in vitale drängende Linien übergeht, dann spielt es sich produktiv zwischen den beiden ab. Plötzlich auch freejazzig. Zuvor bringt die CD einige Standards, an denen man erkennen kann: Lloyd ist ein großer und komplexer Instrumentalsänger, der die Songs (etwa Mood Indigo oder Bess, You Is My Woman Now) zu seinen eigenen macht, in dem Sinne, dass die enthaltenen Emotionen ganz persönlich getönt scheinen. Auch Ornette Coleman hat sich über Lloyd vor einigen Jahren in diesem Sinne geäußert: "Charles spielt wirklich schön. Er drückt das aus, was er erfahren hat." (Ljubisa Tosic, Rondo, DER STANDARD, 10.5.2013)