Diskussionsteilnehmer Christoph Chorherr, Rainer Münz, Michael Pisecky und Matthias Gass (v.r.), moderiert hat Wojciech Czaja.

Foto: FIABCI Austria

Wien wächst stark. Rund 200.000 Haushalte mehr werden nötig sein, um 2030 allen neuen und alten Wienerinnen und Wienern Wohnraum bieten zu können, schätzen Experten. Zwei Millionen Einwohner soll die Bundeshauptstadt laut Prognosen dann haben – und auch die, die schon da sind, werden noch mehr Wohnraum benötigen, weil die Zahl der Singlehaushalte weiter ansteigt und die durchschnittliche Wohnfläche pro Person ganz allgemein auf hohem Niveau zumindest stagnieren dürfte. Darüber hinaus steigen die Baukosten stark und die Grundstückspreise noch stärker – denn Grund und Boden sind nicht beliebig vermehrbar.

"Häuser statt Büros oder Wohnungen"

Wie das alles zusammengehen kann, wurde am Montagabend im Rahmen einer von FIABCI Austria, dem österreichischen Ableger des internationalen Verbands der Immobilienberufe, organisierten und von STANDARD-Journalist Wojciech Czaja moderierten Podiumsdiskussion erörtert. Der Sozialwissenschaftler und Migrationsforscher Rainer Münz wies dabei auf einen Umstand hin: "Wien hatte schon einmal zwei Millionen Einwohner. Und das mit weniger Häusern als heute." Vorstellungen vom romantischen gründerzeitlichen Wien seien aber fehl am Platz: "Wien war vor hundert Jahren keine gemütliche Stadt", räumte Münz, der die Abteilung "Forschung & Entwicklung" der Erste Group leitet, mit einem Mythos auf. Zum System der sogenannten "Bettgeher" – Arbeiter, die nachts arbeiteten und tagsüber für Geld in fremden Betten schliefen -, wolle wohl niemand zurück.

Grünen-Gemeinderat Christoph Chorherr betonte deshalb, dass das Problem "von der Angebotsseite her gelöst werden" müsse. Sprich: Es muss mehr Wohnraum geschaffen werden. Zumindest baugeschichtlich könne man sich dabei aber sehr wohl an der Gründerzeit orientieren, sagte der Planungssprecher im Grünen Gemeinderatsklub, denn: "Damals wurden keine Büros oder Wohnungen, sondern Häuser gebaut."

Bessere Nutzungs-Durchmischung

Häuser, die man heute – ganz im Gegensatz zur den Bauten der vergangenen Jahrzehnte – nutzungstechnisch vielseitig einsetzen könne. Diese Vielseitigkeit vermisst er heute, sie kommt nur recht langsam wieder. Chorherr will deshalb andere Wege einschlagen: Schon vor einigen Monaten stellte er Pläne vor, auf einstöckigen Einzelhandelsobjekten im Gewerbegebiet Auhof im Westen Wiens Wohnbauten zu errichten. Derartige Projekte könnten seiner Ansicht nach vielerorts umgesetzt werden, beispielsweise auch im  Gewerbegebiet Stadlau in der Donaustadt: "Das ist größer als der ganze erste Bezirk, aber alles erdgeschoßig." Auf der anderen Seite müsse man auch "reine Wohn-Monokulturen", wie es sie in den großen Flächenbezirken gibt, nutzungsmäßig besser durchmischen, forderte Chorherr.

Ohne höhere Flexibilität in Flächenwidmung und Bauordnung sei das freilich nicht zu erreichen. Genau das verlangte auch Michael Pisecky, Obmann der Fachgruppe der Immobilientreuhänder in der Wiener Wirtschaftskammer. Überdies sollten die vorhandenen Wohnhäuser seiner Meinung nach nicht nur um die Dachgeschoß-Ausbauten, sondern mit Regelgeschoßen – also weiteren "normalen" Stockwerken – aufgestockt werden. Denn es gäbe seinen Zahlen nach in Wien nur noch Flächen für rund 100.000 neue Wohnungen, ebensoviele Wohnungen müsse man durch Nachverdichtung der vorhandenen bebauten Gebiete gewinnen.

Überhaupt sei "in die Höhe bauen" ein Thema, dem sich die Stadt nicht verschließen sollte, sagte auch Münz. Ob aus einem Hochhausviertel wie jenem auf der Donauplatte im 22. Bezirk letztlich auch ein gut durchmischtes Stadtviertel werde, habe nämlich mit den Hochhäusern selbst nichts zu tun.

"Enteignungen extrem gefährlich"

Für Matthias Gass von der Immobilienkanzlei Schneeweiss, der den erkrankten FIABCI-Austria-Präsidenten Eugen Otto vertrat, ist die Verdichtung der vorhandenen Stadt jedenfalls die "günstigste Variante" des Wachstums. Er warnte außerdem davor, in den Wiener Grundstücksmarkt einzugreifen. Das sei eine "Enteignung" und deshalb "extrem gefährlich", wie er meinte.

Chorherr wollte das so nicht stehen lassen. "Ich sehe keinen Vorteil darin, wenn einige wenige, die das Glück hatten, einen ehemaligen Agrarbetrieb zu erben, zulasten der Stadt profitieren".

Stellplätze im Endspurt

Der Grüne Planungssprecher ließ dann auch noch durchblicken, dass sich die Verhandlungen mit Koalitionspartner SPÖ in Sachen Stellplatzverpflichtung in der Endphase befinden würden. Man werde dabei von einer wohnungs- auf eine flächenbezogene Stellplatzverpflichtung umstellen, außerdem sollen künftig Bauträger bevorzugt werden, die "grüne" Mobilitätskonzepte mit Carsharing etc. umsetzen wollen.

Eine weitere große finanzielle "Herausforderung" für die Stadt sei es, dafür Sorge zu tragen, dass die Schulinfrastruktur mit den Entwicklungsgebieten Schritt hält. Gewerbliche ebenso wie gemeinnützige Bauträger wiesen zuletzt immer wieder darauf hin, dass dies oft ein Grund sei, warum sie keine Widmungen bekommen würden. "Für 1.000 neue Einwohner braucht man vier bis fünf Schulklassen", so laute die entsprechende Faustregel, sagte Chorherr.

Für Münz stellt sich diesbezüglich eine grundsätzliche Frage: "Soll die Bevölkerung in der Peripherie künstlich gehalten werden? Gerade in Gegenden mit sinkenden Bevölkerungszahlen wird das immer teurer." Es müsse politisch möglich sein, fünf neue Schulen in Wien zu bauen und im Gegenzug "26 Kleinstschulen in Niederösterreich zu schließen". Denn seiner Ansicht nach gebe es "keine Notwendigkeit, dass im oberen Waldviertel Menschen leben". Dies sei aber, wie fast alles, eine Frage der politischen Rahmenbedingungen. (Martin Putschögl, derStandard.at, 4.6.2013)