Shampoo Boy auf Landschaftssuche - von links: Christian Schachinger (Gitarren), Peter Rehberg (Elektronik) und Christina Nemec (Bass).

Foto: Pamela Rußmann

Ein hohes Sirren und Flirren, das zentimeterdicke Humpen zum Schmelzen bringt. Eine Stromgitarre räuspert sich vernehmlich. In der nahen Kapelle der unterirdischen Wohneinheit aus Beton erhebt eine weitere Gitarre schüchtern ihr Haupt. In der Industrieruine herrscht Fernweh. Der Song Loch des in Wien ansässigen Trios Shampoo Boy bildet den Auftakt der ganz und gar erstaunlichen Vinylplatte Licht.

Es geht weiter durch Tunnellandschaften, die noch nie ein Mensch gesehen hat. Der Bass, nur wenige Male sehr bestimmt angeschlagen von Christina Nemec (SV Damenkraft), lässt Räume erahnen, in denen Decken sich zu Gewölben öffnen. Priester einer in Vergessenheit geratenen Gottheit reiben Kultgegenstände aneinander: kupferne Becher, Zinkwannen, Lötkolben, Glasfiberkabeln.

Die Klanggebäude von Shampoo Boy wären eigentlich ein gefundenes Fressen für den Sektenbeauftragten der Metallindustrie. Die Welt der metallischen Klangerzeugung ist für den Außenstehenden ein reines Wunder. In ihr tummeln sich Kuttenmönche, Waldschrate, tätowierte Teufelsanbeter. Es gibt Kirchenväter und Päpste, Schismatiker treiben ihr Unwesen. Man kennt Länder in Skandinavien, in denen Doom-, Death- und Schlock-Metaller Rentiere mit bloßen Händen erlegen oder römische Kirchen anzünden. Einige Theologen erinnern sich noch an die Tage, als Bands wie Judas Priest auf geliehenen Harley Davidsons auf Festivalbühnen ritten und den Massen ordentlich "einheizten". Doch das Böse wurde böser, zugleich unbegreiflicher. Mit dem Siegeszug von Techno verlor der handwerkliche Aspekt stark an Bedeutung. Bands wie Sunn O))) tragen zwar scheußliche Kutten. Ihr Interesse an der Erforschung stehender Klänge teilen sie mit Pan Sonic, Mika Vainio oder Hecker.

Und mit Peter Rehberg. Der Betreiber des Editions-Mego-Labels ist bei Shampoo Boy für die elektronische Landschaftsgestaltung zuständig. Die Handhabung der diversen Saiteninstrumente obliegt STANDARD-Musikkritiker Christian Schachinger. Die Bedeutung dieser außerordentlich wohltönenden Musik hat mit ihrer erzählerischen Zurückhaltung zu tun. Die vier Nummern bilden zumeist diskrete Prozesse ab: ein Flattern und Zappeln, das sich mit sonischen Gleitflügen abwechselt. Soundwolken ziehen gemächlich am Ohr vorüber, Dunst hängt über Landschaften aus Zellulose. Zugleich machen Shampoo Boy für den Hörer jede Möglichkeit zunichte, an etwas Außermusikalisches zu denken.

Die Preisgabe jeder Art von "Referenzialität" teilt diese Musik mit einigen der wichtigsten Post-Jazzer und Improv-Künstler: Man denke an Polwechsel, an Sve-Ake Johansson. Zugleich lässt sich Licht von Shampoo Boy ohne Probleme aus dem britischen Post-Punk herleiten. In den frühen analogen Bandklebereien von Cabaret Voltaire wie im entfetteten Rock von This Heat war das Sterben der britischen Industrielandschaften Ausgangspunkt der Reise.

Im Song I Remember Nothing der Endzeitvisionäre Joy Division hört man Glas splittern. Die verqualmten Zonen des mittelenglischen Backsteinmeers wurden zu Anti-Orten der Moderne. Mit dem Untergang der klassischen Industriearbeit boten die stolzen Städte von einst keine Zufluchtsstätten mehr. Musik im Zeichen postindustrieller Entfremdung glich einer zögerlichen Abtastbewegung: Man sondierte den Müll, las die Zeichen, wusste mit den Ruinen nichts anzufangen. Hinzu gesellten sich Zynismus und Traurigkeit.

Shampoo Boy zitieren auf Licht die Melancholie, die über den verrotteten Industrieparks schwebt. Die alten Zonen der Produktion haben in der Zwischenzeit den Konsumdistrikten des Dienstleistungssektors Platz gemacht. Die Musik von Shampoo Boy ist zugleich vollkommen "deterritorialisiert". In Still erhebt sich sogar ein erhabener Klangdom, unter dessen mächtiger Kuppel ein Quietschen wie von ungeölten Felgen hörbar wird.

Das "Erhabene" erhebt den Menschen über seine Natur, es erregt nicht nur sein Wohlgefallen, sondern befreit ihn zugleich von der sinnlichen Welt (Friedrich Schiller). Im Raum zwischen dem längst Versunkenen und dem noch nicht Identifizierten entfalten Rehberg, Nemec und Schachinger die sparsame Dialektik ihrer mächtigen, schwellenden, zugleich in sich ruhenden Klänge. Licht ist eine Symphonie. Die Satzbezeichnungen lauten: "Loch", "Fall", "Gift" und "Still". Die höchst verdienstvolle Katzenmusikpostille Wire jubelte bereits, und wir schließen uns dem dankbar an. (Ronald Pohl, Rondo, DER STANDARD, 7.6.2013)