Jef Verstraeten klettert eine Brücke im Wiener Prater entlang. Der Belgier, der in Österreich lebt, ist einer der Darsteller in der Doku "Vienna Walls".

Foto: Paul Zeiner

Stadtkletterer setzen zur Sicherheit auf Crashpads.

Foto: Paul Zeiner

Wien - Wenn Philipp Stromer eine Wand betrachtet, sieht er längst nicht nur eine Wand. Es entwickelt sich eine Linie vor dem geistigen Auge, die bis ganz nach oben führt. Er erblickt Vorsprünge und kleine Risse, an die sich Fingerkuppen klammern können. Und er macht Einkerbungen fest, die höchstens Platz für den großen Zeh vom linken Fuß bieten.

Diese Gabe unterscheidet Stromer nicht von anderen Kletterern. Nur kraxelt der 31-jährige Architekt keine Felswände hinauf, sondern Gebäude, Brückenpfeiler oder Mauern mitten in Wien. "Wir verwenden die Stadt als Spielplatz", sagt Stromer. Er sagt "wir", weil die Kletterer abseits von Hallen längst eine Szene gebildet haben, als Austausch dient die Plattform urban-boulder.com. "In Wien werden es mehr als hundert sein", sagt Stromer. "Wir haben viel Zulauf von Sport- und alpinen Kletterern, die sich ihr Trainingsgebiet in der Stadt selbst aussuchen wollen."

Die Hotspots haben die Sportler selbst zusammengetragen. Rathaus oder Stephansdom finden sich nicht darunter, diese Ziele wären höchst illegal und lebensgefährlich. Den Sportlern geht es um ungesichertes Klettern in Absprunghöhe. Geht es einmal ein wenig höher hinaus, schützen bei Abstürzen ein gepolstertes Crashpad und andere Kletterer.

"Vienna Walls"

Als Spielwiese gilt die Flexwand gegenüber dem Club am Donaukanal. "Ich weiß, dass da Leute schon vor 25 Jahren herumgeklettert sind", sagt Stromer. Mittlerweile sind 32 Routen in verschiedensten Schwierigkeitsgraden markiert. Am Handelskai bei der U6-Brücke wurden die Stadtkletterer ebenfalls fündig.

Für den No-Budget-Film "Vienna Walls", den Stromer mit elf weiteren Kletterern auf die Beine stellte, wurde auch die Stahlkonstruktion bei der Stadtbibliothek erklommen. Bis zu acht Meter geht es dort in die Tiefe, ein Sturz wäre keine gute Idee gewesen. Stromer hat die Strecke auf einem Kinderspielplatz geübt. "Vielleicht haben wir uns bei manchen Spots etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt", sagt er.

Private Gebäude sind tabu

Er meint nicht die Gefahr, sondern das halblegale Territorium, das die Stadtkletterer abseits von Hallen und kostenpflichtigen Outdoor-Kletterzonen wie am Flakturm oder am Pier 9 betreten. Private Gebäude sind tabu, ebenso Denkmäler. Werden die Stadtkletterer von Polizisten an öffentlichen Mauern gestellt, werden sie manchmal "weggestampert", sagt Stromer. Meistens dürfen sie aber weitermachen.

In Linz fand vor zwei Wochen der erste Urban Boulder Cup statt. In Wien wird am 27. Juli unter der Reichsbrücke auf der Donauinsel geklettert. Stromers Plan ist, einen Urban-Boulder-Führer für Wien herauszubringen. "Da werden nur Spots angeführt, mit denen es keine Probleme gibt." (David Krutzler, DER STANDARD, 28.6.2013)