Bild nicht mehr verfügbar.

Nur Sieger: Nadine Kegele (Publikumspreis), Heinz Helle (Ernst-Willner-Preis), Katja Petrowskaja (Bachmannpreis), Verena Güntner (Kelag-Preis), Benjamin Maack (3sat-Preis), ORF-General Wrabetz.

Foto: apa

Bild nicht mehr verfügbar.

Die glückliche Siegerin: Katja Petrowskaja gewann mit ihrem Text "Vielleicht Esther" das "Wettlesen" in Klagenfurt.

Foto: apa/Eggenberger

Klagenfurt - Das Fernsehen, sagt man, mache die Dinge "bigger than life". Und im Text, den Zé do Rock in dem von ihm gepflegten "ultradoitsh" beim Bachmannpreis las, heißt es: "one TV get rein gar nix". Der deutsch-brasilianische Autor ging dann so wie Joachim Meyerhoff mit seinem ebenfalls leichtfüßigen Text bei der Preisvergabe leer aus.

Recht sollte Zé do Rock bezüglich des Fernsehens trotzdem bekommen. Denn in der Person des ORF-Generaldirektors Alexander Wrabetz reiste am Sonntag jener Mann nach Klagenfurt, der es geschafft hatte, die "Tage der deutschsprachigen Literatur" durch ihre angedrohte Einsparung wochenlang auf der medialen Agenda zu halten.

Dass der seit Tagen für die Preisverleihung angekündigte Wrabetz nicht an den Wörthersee fahren würde, um ausgerechnet bei der Preisverleihung des Wettlesens dessen Ende zu besiegeln, war klar. Und so kam es, wie es kommen musste. Wrabetz verkündete strahlend, der Bachmannpreis werde weiterleben. Vorher hatte er bei einem von Landeshauptmann Peter Kaiser initiierten Treffen mit Vertretern der Stadt und des Landes die Zukunft des Wettlesens gesichert. An der Gebührenrefundierung durch die Bundesregierung wird festgehalten, sollte sie nicht erfüllt werden, würden die Finanzierungslücken durch Sponsoren abgedeckt, mit denen die Gespräche schon abgeschlossen seien, heißt es.

Im Dschungelcamp der Prosa

Es ließe sich nun - abgesehen von der Diskussion über Bildungs- und Kulturauftrag des ORF - trefflich darüber streiten, ob der Bachmannpreis nicht viel mehr die Autoren und die Literatur braucht als umgekehrt. Dass es ein relativ schmales Terrain gut verkäuflicher Literatur ist, deren Claims hier abgesteckt werden, ist auch nicht ganz neu. Und so fühlt man sich bei diesem Literaturwettbewerb - in dessen Rahmen 14 Autoren und Autorinnen lesen und anschließend von einer siebenköpfigen Jury beurteilt werden - je nach Tagesstimmung entweder als Besucher eines Dschungelcamps für Literaturkritiker oder als voyeuristischer Zuschauer einer Castingshow für vermeintliche Hochleistungsprosa.

Zweifellos aber bleibt es ein Verdienst dieser Veranstaltung, dass sie mit ihrem bis zur Juryabstimmung transparenten Preisvergabe-Prozess die Mechanismen des Literaturbetriebs offenlegt.

Angefangen hat heuer zunächst alles gar nicht schlecht. Michael Köhlmeier erinnerte in seiner Eröffnungsrede an Jörg Fauser (1944-1987) und somit daran, dass Kunst auch etwas mit einer Weltsicht zu tun hat, die sich nicht primär an jenen hellbeleuchteten Orten orientiert, wo die Kameras surren. Fausers Angst, dass die Kritiker irgendwann die Autoren nicht mehr brauchen und über Bücher reden sowie Autoren verreißen und bejubeln werden, die es gar nicht gibt, hat sich noch nicht bewahrheitet. Jedenfalls noch nicht.

Fakt bleibt, dass, wer über diesen Literaturwettbewerb schreibt, auch über die die Autoren einladende Jury reden muss.

Das literaturkritische Mittelfeldduo Daniela Strigl und Paul Jandl erwies sich als gewohnt ballsicher, die beiden alternden Außenverteidiger Hubert Winkels und Burkhard Spinnen widersprachen sich zwar dauernd, sind aber trotzdem gute Freunde geblieben, Hildegard Keller spielte offensiver als früher, Meike Fessmann war solide, und der neu zur Jury gestoßene Jurj Steiner hielt sich auch nicht schlecht. Und Stürmer? Keine weit und breit.

Die Jury interpretierte, deutete und psychologisierte häufig. Es wurde abgehandelt und durchgewinkt. Klartext wurde kaum geredet. Was sich nicht nur in den gelesenen Texten, sondern auch in den schließlich prämierten Beiträgen niederschlug. Diverse die Kommunikationslosigkeit und Verstörung thematisierende Adoleszenzgeschichten (u. a. die Beiträge von Verena Güntner, an die der mit 10.000 Euro dotierte Kelag-Preis ging, und Benjamin Maak, der die 7500 Euro des 3sat-Preises gewann) waren darunter.

Die Themen Körper und Körperlichkeit zogen sich durch das Gelesene (etwa Nadine Kegeles Text, der den mit 7000 Euro dotierten Publikumspreis gewann), dazu gab es viel handwerklich Solides, aber nichts Herausragendes, auch nicht Heinz Helles Text, an den die 5000 Euro des Ernst-Willner-Preises gingen.

Fiktion und Literatur

Den Ingeborg-Bachmann-Preis (25.000 Euro) gewann dann die 1970 in Kiew geborene, in Berlin lebende Katja Petrowskaja, deren erstes Buch 2014 bei Suhrkamp erscheint. Nicht dass es sich bei ihrem Beitrag Vielleicht Esther um schlechte Literatur handeln würde. Erzählt wird die von einer Enkelin imaginierte Geschichte vom Tod ihrer jüdischen Urgroßmutter, die 1941 in Kiew von den Nazis erschossen wird.

Gekonnt werden, während Homers Epen als Referenzpunkte anklingen, Motive verknüpft und die Frage nach dem "vielleicht", das den Kern jeder Literatur ausmacht, aufgeworfen. Und hätte sich die Jury nicht vom Thema Holocaust einschüchtern lassen, wäre eine interessante literarische Diskussion zu führen gewesen.

Die Frage nämlich, ob Fiktionen wie jene Petrowskajas von nachkommenden Generationen erfunden werden dürfen beziehungsweise können, wird uns noch beschäftigen. Paul Jandl versuchte diese Debatte anzureißen, stand aber allein auf verlorenem Posten. Alexander Wrabetz übrigens kündigte an, als Konsequenz der Diskussion um den Bachmannpreis den Wettbewerb weiterentwickeln zu wollen. Klingt eher nach einer Drohung als nach einem Versprechen. (Stefan Gmünder, DER STANDARD, 8.7.2013)