Dass die Jugend immer wieder für Anfeindungen der Alten herhalten muss, ist genauso wenig neu wie die Erkenntnis, dass die Alten den Jungen damit im Wesentlichen einen Gefallen tun. Neu ist nur, dass die Anfeindungen heute lauten, die Jugend sei im Vergleich zu ihren vielen Vorgängern - an denen sie in jedem Moment gemessen wird - ein Haufen von "angepassten Hosenscheißern", wie der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier dieser Tage im Interview mit "Paroli" sagt.

Anfeindung als Agent der Alten

Früher galt für Heranwachsende die Anfeindung als Affirmation: Daran, wie viel Kritik man einstecken musste, konnte man erkennen, wie fortschrittlich man war - oder konnte sich seine Rebellion wenigstens mit der eigenen Fortschrittlichkeit und dem Unverständnis der anderen legitimieren. Jetzt mutiert die Anfeindung von der Affirmation der Jungen zum "Agenten der Alten": Statt sich heute als aktiver 50-Jähriger überfordert mit der Innovationskraft der Jugend zu zeigen, geht man in den Angriff über und attackiert umgekehrt die Schwächen der nächsten Generation.

Fraglich ist, ob Bequemlichkeit und Anpassung tatsächlich zu ihren hervorstechendsten Eigenschaften zählen - und ob Heinzlmaier die Zeichen der Zeit wirklich richtig deutet, wenn er sich als Advokat der neuen Unangepassten (also seiner Generation) die heutige Jugend vornimmt, die sich vor lauter Wohlstand nicht mehr zum Aufstand hinreißen lässt.

Die lange Leitung zur langen Jugend

Heinzlmaier, der ehrenamtlicher Vorstand des Instituts für Jugendkulturforschung und Geschäftsführer der Tfactory Hamburg ist, predigt das Mantra von der Mittelmaß-Jugend bezeichnenderweise schon fast so lange, wie er sich dieser selbst nicht mehr zurechnen kann. In seiner am weitesten gefassten Definition, die Heinzlmaier auch in seiner marktforscherischen Berufspraxis heranzieht, endet die Jugend heute etwa mit 29 Jahren und ist damit als Lebensabschnitt der Pension ebenbürtig.

Sind heute also alle unter 30 angepasste Hosenscheißer? Falls es diesen Trend geben sollte, widerstehen ihm einige zumindest besonders stark: Gerade die gesellschaftlichen Revolutionäre unserer Zeit gehören dieser vermeintlich passiven, wohlstandsverwöhnten Generation an: Facebook-Gründer Mark Zuckerberg etwa ist 29, Edward Snowden wurde erst kürzlich, nach Aufkommen des NSA-Skandals, 30 Jahre alt.

Womit wir beim eigentlichen Problem wären: dem Paradigmenwechsel der Generationen. Irgendwo zwischen der Jugend, die Heinzlmaier noch verstand, und jener, die sich seinem Verständnis (vermutlich absichtlich) entzieht, haben sich die Symbole verschoben, wurden die Zeichen ausgetauscht, ließ sich die Revolution plötzlich nicht mehr an Umzügen und Transparenten und Parolen und Sitzstreiks erkennen. Aber nur, weil die Revolutionen nicht mehr so klar demarkiert wie früher daherkommen, heißt das nicht, dass sie nicht dennoch passieren.

"Wir lassen uns nicht sagen, was wir denken"

Die Legitimation für seinen Jugendkultur-Pessimismus holt Heinzlmaier sich aus der Marktforschung, wo er die Quelle der Jugend mittels Focus Groups anzapft - und gleichzeitig einen systemischen Fehler der Marktforschung selbst deutlich macht: Denn qualitative Focus Groups sind per Design darauf angelegt, Soundbites und einzeilige Statements zu produzieren, die als Versatzstücke zur Untermauerung so ziemlich jeder (Kunden-)Meinung herhalten müssen.

So kann man Subkulturen zwar vereinnahmen, aber gewiss nicht abbilden. Dafür bräuchte es einen unverstellteren Blick für das Ganze. Man könnte auch sagen: Wenn die heutige Jugend in einer Gesellschaft aufwächst, die nicht mehr auf Autoritätshörigkeit, sondern auf Dialog aufbaut, mag das den Aufstand zwar nicht obsolet machen - aber es ist trotzdem ein gutes Attest für die gegenwärtige Welt. Proteste geschehen natürlich trotzdem auch weiterhin. Ihr Tenor ist, wie seit jeher: "Wir lassen uns von euch Alten nicht sagen, was wir denken." Diesen Verlust der Bedeutungshoheit muss auch Heinzlmaier akzeptieren. (Markus Lust, Leserkommentar, derStandard.at, 9.7.2013)