Ein Lebensleider präsentiert Lebenslieder: Der Australier Scott Matthew präsentiert auf seinem Album "Unlearned" persönlich gefärbte Coverversionen.

Foto: Glitterhouse

Die Wahl des ersten Songs erscheint nicht wirklich überraschend: Mit seiner Sichtung von To Love Somebody reiht sich Scott Matthew in eine Legion von Musikern, die sich an diesem Lied der Bee Gees schon versucht haben. Erschienen war das Original 1967 zur hohen Zeit der Soul-Music. Und obwohl der Song in Großbritannien nicht von der Stelle kam, schoss er in anderen Ländern gen Himmel. Unerreicht ist die Version der Nina Simone, aber Nina Simone ist ja als solche unerreicht.

Der kunstvoll verwahrloste Australier Matthew, der klischeehaft in Brooklyn, New York City, lebt, macht dem Lied aber keine Schande. Schließlich spielt der Hüne die Marilyn-Monroe-Gitarre, die Ukulele, was dem Song schon deshalb eine neue Facette angedeihen lässt. Das gilt für fast alle Lieder, die Matthew auf seinem neuen Album Unlearned zusammengetragen hat. Lauter Coverversionen, 14 Stück. Ein Coverversionenalbum aufzunehmen ist zwar schon lange nicht mehr der Gipfel der Originalität, aber es gibt immer wieder Ergebnisse, die weit aus dem Durchschnitt ragen. Man denke nur an Kevin Rowlands My Beauty, an das unpackbare Dedicated to the Ones We Love der Blackeyed Susans oder I'll Take Care of You von Mark Lanegan.

Das sind Alben, die mit Fremdmaterial eine eigene Stimmung erzeugen und mit ihrer Auswahl überraschen. Wie der einstige Chef der Dexys Midnight Runners Rowland zieht auch Matthew dafür Whitney Houston als Leiche aus dem Keller. Ihr I Wanna Dance with Somebody reduziert Matthew mit Ukulele, Klavier und sanft gewischtem Schlagzeug auf einen Tagebucheintrag eines unglücklich Verliebten, der sich nach Liebe sehnt. Das ist der effektvolle Kunstgriff, den Matthew bei allen Songs anwendet: Er bremst sie ab, zerlegt sie in ihre Einzelteile und montiert sie für eine sparsame Instrumentierung neu zusammen. Nach zwei Soul-Songs sucht er Darklands von The Jesus and Mary Chain heim. Mit seinen Mitteln werden diese zu einer neuen Wunschdestination.

Matthew meint zum Album, die Lieder wären wie alte Freunde, mit denen er aufgewachsen ist, die ihm in besonderen Lebenssituationen Trost und Halt gegeben hätten. Er habe sie so verinnerlicht, dass er sie erst wieder verlernen hätte müssen, um sie halbwegs unbefangen zu singen. Daraus leitet sich der Albumtitel ab: Unlearned.

Für Nat "King" Coles Smile erfährt er Unterstützung von Neil Hannon von The Divine Comedy, der seinen zartesten Schmelz anwendet, um für Gänsehaut zu sorgen. Etwas später sichtet er das von Bert Kaempfert für Nat Cole geschriebene L.O.V.E mit Ukulele, Tuba und Kinderrassel. Für zumindest einen Song gilt hier aber: Finger weg! Love Will Tear Us Apart , dem Schwanengsang von Ian Curtis und Joy Division, wurde noch keine Coverversion gerecht, noch nie wurde ihm Mehrwert verliehen, zu perfekt ist das Original. Da kann sich Matthew noch so verzehren, es hilft nix. Morrisseys There's a Place in Hell for me and my Friends geht dafür als Song Wesensverwandter voll auf, bevor mit Rod Stewarts I Don't Wanna Talk about It der zweite abseitige Höhepunkt nach Madame Houston kommt. Da zwinkert jemand beim Abgehen einer Träne. (Karl Fluch, Rondo, DER STANDARD, 12.7.2013)