London - Der Weg Irlands in die Moderne - der am Freitag mit dem Beschluss eines wegweisenden Gesetzes begann - soll am Montag im Senat, der ersten Kammer, fortgesetzt werden. Mit 127 zu 31 Stimmen hatten die Abgeordneten das Gesetz "zum Lebensschutz während der Schwangerschaft" verabschiedet - ein geschraubter Titel, hinter dem sich eine Revolution verbirgt: Erstmals haben Irinnen unter eng begrenzten Umständen in ihrer eigenen Heimat Zugang zu einer Abtreibung. Voraussetzung ist eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben, wozu auch Suizidgefährdung zählt.

Es handelt sich also im westeuropäischen Vergleich um eine extrem restriktive Regelung. Selbst diese kam nur nach monatelanger Diskussion und zwei Nachtsitzungen des Parlaments zustande. Premierminister Enda Kenny, selbst bekennender Katholik, erhielt im Vorfeld der Abstimmung in Blut geschriebene Drohbriefe und Plastikföten.

Abtreibungstourismus

Zwischen 4000 und 7000 Irinnen reisen jedes Jahr ins Ausland, die meisten nach Großbritannien, um eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Auf eigene Kosten. Genaue Zahlen gibt es nicht, schließlich sind die Reisen häufig mit Zweifeln, Scham und Schuldgefühlen verbunden. Und mit Demütigungen, wie sie beispielsweise die 22-jährige Mary (Name von der Redaktion geändert) erlebt hat.

Sie steht auch im Nachhinein "hundertprozentig" zu ihrer Entscheidung, die ihr Freund mittrug. Aber als sie auf dem OP-Tisch einer Londoner Klinik lag, bekam sie plötzlich das heulende Elend. "Woher kommen Sie denn?", fragte eine Schwester. "Aus Dublin", antwortete Mary und beobachtete, wie sich Ärzte und Schwestern wortlos anschauten. "Das war so eine Mischung aus ehrlichem Mitleid und Herablassung. Ich fühlte mich total beschissen. Und plötzlich verachtete ich diese Leute, die dafür verantwortlich sind, dass Irland in dieser Beziehung so unendlich rückständig ist."

Diese Leute - das sind noch immer allzu viele. Angefeuert von der katholischen Kirche zeigten sich bei der letzten Wahl die großen Parteien Irlands, auch Kennys Fine Gael, mit der bisherigen Regelung einverstanden. Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und der tragische Tod einer Zahnärztin in Galway haben die Debatte vorangebracht. Bei der gebürtigen Inderin Savita Halappanavar diagnostizierten die Ärzte in der westirischen Stadt zwar eine Fehlgeburt; weil das Herz des nicht lebensfähigen Kindes aber weiterschlug, wurde der Patientin vergangenen November der notwendige Schwangerschaftsabbruch verweigert. Begründung: "Dies ist ein katholisches Land." Kurz darauf starb sie an einer Blutvergiftung. (Sebastian Borger, DER STANDARD, 15.7.2013)