Kleidet mattschwarze Erzählungen in zeitgenössische Blues- und Rock-'n' -Roll-Outfits: David Lynch, hier von der schwedischen Musikerin Lykke Li fotografiert.

Foto: Pias records/lykke li

Schon der Titel des Albums ist zutiefst romantisch: The Big Dream. Er evoziert ein Wünschen ebenso wie eine Illusion. Gleichzeitig gesellt er sich damit in Nachbarschaft eines Titels wie The Big Sleep, und da darf man einem als Regisseur berühmt gewordenen Künstler durchaus eine gewisse Absicht unterstellen. Schließlich handelt es sich um David Lynch, der eben sein zweites Album veröffentlicht hat. Und angesichts der darauf auftauchenden Figuren und Stimmungen funktionieren derlei Assoziationen bestens. Zumal sich das filmische OEuvre des Meisters in seinen oft abseits gängiger Erzählform angesiedelten Handlungssträngen über das Assoziative mitteilt - oder es gleich dem Publikum überlässt, sich zurechtzufinden. Oder eben nicht.

Auf The Big Dream begegnet man Figuren, die aus den Filmen des 67-jährigen US-Amerikaners entnommen sein könnten. Einsamen Wölfen, Nachtschwärmern, schrulligen Typen - lauter Gestalten, die der amerikanische Traum vergessen hat. Schrullig wirkt auch die Erzählform des Sängers Lynch. Denn er verändert seine Stimme mit Effektgeräten. Lynch klingt damit ebenso kauzig wie einer seiner Freaks auf Helium. Kritik aus der Virtuosenecke, Lynch könne nicht gescheit singen und verwende deshalb Verfremdungsgeräte, taucht naturgemäß auf, zielt aber schon wegen Bob Dylan ins Leere.

Mindestens so wichtig wie Lynch als Regisseur und Autor seiner Songs ist sein musikalischer Kopartner Dean Hurley. Der Aufnahmetechniker und Musiker stattet Lynchs Songs aus. Lynch bearbeitet heute zwar immer noch ein paar Instrumente, aber eher unkonventionell bis rudimentär. Zwar war er als Kind ein leidenschaftlicher Trompeter, doch als er in der Schule nur noch Marschmusik spielen sollte, war die Begeisterung dahin, die Trompete Geschichte. Schon für sein richtiges Debüt Crazy Clown Time (2011) - Lynch hatte bereits davor an diversen Alben mitgewirkt - schuf Hurley den musikalischen Rahmen. Es waren vom Gefühl des Blues durchwirkte und mattschwarze Werke, die Lynch als Erzählrahmen dienten.

Davon entfernen sich die beiden auf The Big Dream nicht allzu weit, doch statt gerne zäh pumpenden Songs, die wie am Stand zu treten scheinen, widmen sich Lynch und Hurley verstärkt dem Baby des Blues: dem Rock 'n' Roll. Nun ist Lynch ein ausgewiesener Freund des klassischen Rock 'n' Roll der 1950er- und 1960er-Jahre. Das belegt der Einsatz von Songs aus dem Katalog von Roy Orbison in seinen Filmen, und auch der Elvis-Wiedergänger Chris Isaak muss in diesem Zusammenhang Erwähnung finden. Wobei Lynch sich vornehmlich für das sinistre Potenzial scheinbar unschuldiger Dreiminüter für herzgebrochene Teenager interessierte. Man erinnere sich an Isaaks Wicked Game, Orbisons In Dreams oder den Einsatz von Elvis Presleys Love Me Tender in Filmen wie Blue Velvet und Wild at Heart. Nicht selten dienten sie als letzte Momente der Ruhe vor dem Sturm. Lynchs Songs sind zwar noch von dieser Unschuld durchzogen, das Leben mit seinen Erfahrungen hat sie aber längst eingeholt. Gemeinsam mit der cineastischen Qualität der Lieder, die wie zeitgenössische Inkarnationen des Werks von Wall of Voodoo (Call of the West!) wirken, entfalten sie ihre Qualität.

Neben den langsam bohrenden Songs sind es auf The Big Dream Songs wie Say It, We Rolled Together oder Sun Can't Be Seen No More und ein paar andere, die das Album davor bewahren, bloß mehr vom Gleichen zu bieten. Im Up-Beat und von verhallten Westerngitarren veredelt, wirken sie wie Soundtracks zu nächtlichen Autofahrten Lynchs durch seine Heimatstadt Los Angeles. In We Rolled Together streift er an Howlin' Wolfs Smoke-stack Lightning ebenso wie an Junior Parkers Mystery Train. Zwei Songs, die zu den Grundpfeilern der populären Musik gehören.

Neben diesen großartigen Liedern stinkt das als Single ausgekoppelte I'm Waiting Here ziemlich ab. Es ist eine Zusammenarbeit mit der schwedischen Sängerin Lykke Li. Das sollte möglicherweise die jugendliche Zielgruppe bedienen, aber die ist ja - was Plattenkäufe betrifft - ohnehin zu vergessen. Das tatsächliche Publikum frohlockt im Dunkel des Klappcovers und der an Neonlicht erinnernden Schrift des Booklets. (Karl Fluch, Rondo, DER STANDARD, 19.7.2013)