Bild nicht mehr verfügbar.

Den Troll füttern? Gerne - aber auf eigene Gefahr. Die Moderation übernimmt keine Verantwortung für auftretende Nebenwirkungen.

Foto: REUTERS/Blechynden

Die Betreuung einer lebendigen Community wie jener auf derStandard.at ist niemals langweilig, häufig anstrengend, sehr oft hochgradig unterhaltsam, in jedem Fall jedoch enorm aufwendig. Eine Herausforderung, wie Christian Burger richtigerweise feststellt, die den Moderatoren ein erkleckliches Maß an Fingerspitzengefühl abverlangt.

In ihrem Kommentar der anderen "Jenseits des Anstandsgürtels" (DER STANDARD, 20. Juli) beschreibt die Schriftstellerin Julya Rabinowich ihr Abgleiten als derStandard.at-User "Jura Säufer" in Verhaltensweisen eines Forentrolls. Nach ihren eigenen Angaben zunächst als Recherche für ein Stück gedacht, erfährt sie durch den Kontakt mit diversen bedenklichen Forenbeiträgen, dass diese Beschäftigung eine Prägung ihrer eigenen Diktion und Argumentationsweise verursacht. Von einem missionarischen Eifer (nicht zufällig stellt sie fest, dass sie es nicht erreicht hat, andere Teilnehmer zu "bekehren") getrieben, verzettelt sie sich in endlosen verbalinjuriengeschwängerten Debatten mit abertausenden Postings.

Selbst in der Folge gesperrt, formuliert sie nunmehr schwere Vorwürfe gegen den Betreiber des Forums und unterstellt die Duldung von Verleumdung und "Kapitulation vor Dirty Campaigning". Als Konsequenz daraus fordert sie die Abschaffung von Pseudonymen als Usernicknames.

Ja, die von Rabinowich zitierten Postings hätten zum Teil in einer perfekten Welt, in einem perfekten Forum, nicht erscheinen sollen. Warum aber zitiert sie überhaupt Postings anderer User, und nicht gleich aus ihren eigenen gelöschten Beiträgen? Dahinter verbirgt sich ein gewisses Maß an Chuzpe, denn die Sperre ihrer Useraccounts war schließlich weder willkürlich, noch zufällig. Ganz im Gegenteil: ihre Postings dienten bereits bei der Einschulung neuer "Ab-und-zu-Moderatoren", wie sie die Forenbetreuung despektierlich bezeichnet, neben den Elaboraten einiger anderer notorischer Teilnehmer als Modellfall eines Internettrolls. Es gibt kein Mitglied des Moderationsteams, das nicht ein Klagelied singen könnte über verlorene Zeit bedingt durch Aufräumarbeiten nach einem Flame War zwischen "Jura Säufer" und anderen Forenteilnehmern. Folgerichtig fragt der User "abc ao" in Antwort auf ihren Kommentar: "Wieso geht die Autorin nicht mit gutem Beispiel voran und postet unter ihrem eigenen Namen anstatt sich 'Jura Säufer' zu nennen?"

Nachträglich andere für die eigenen Entgleisungen verantwortlich zu machen, wirft die Frage nach der Redlichkeit der Absichten der Kommentarautorin auf: Zwar thematisiert sie ihr Fehlverhalten durch "die Wut", die "einen im Kreis umtreibt", doch findet sie nicht zu einem Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung, denn Schuld sind für sie andere: die User und auch die Moderation. Dabei ist die Entwicklung zum Troll schließlich keineswegs eine zwingende: der überwiegende Anteil der User bleibt, auch trotz Verwendung eines Pseudonyms, im Rahmen der Forenregeln.

Frau Rabinowich führt in ihrem Kommentar konkret den "Fall Oliver", einen internationalen Obsorgekonflikt um einen austrodänischen Buben, als Beispiel für "öffentliche Verleumdung aus in Dirty Campaigns geschulten Kreisen" an, die ihrer Meinung nach offenbar von "Väterrechtsvereinen" gesteuert werden. Beweise hierfür bleibt sie schuldig. Es steht ihr, wie allen anderen Usern auch, natürlich zu, in dieser Causa eine Meinung zu haben. Eine Freiheit, von der sie auch reichlich Gebrauch machte: Alleine bei einem willkürlich ausgewählten Artikel mit einer vierstelligen Anzahl an Postings zu diesem Thema stammte gut ein Viertel der Beiträge von "Jura Säufer".

Selbst wenn es der Fall sein sollte, dass in der Angelegenheit auch "Väterrechtler" Forenbeiträge verfassen, weht der Wind der Kampagne im Sinne einer versuchten Eroberung der Meinungshoheit im Forum ganz offensichtlich aus der entgegengesetzten Richtung. Wie sich in der völlig divergierenden Auffassung der dänischen und österreichischen Behörden zeigt, ist die Rechtslage in der Causa jedoch keineswegs so klar, wie Frau Rabinowich glauben machen will. "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar", zitiert Rabinowich Ingeborg Bachmann. Zweifellos. Allerdings hat auch sie die Wahrheit nicht gepachtet, genausowenig wie die anderen User. Sie vergisst, dass die Welt in den wenigsten Fällen aus Schwarz und Weiß besteht - die Grautöne sollten ihr als Literatin bekannt sein.

Klarerweise werden Onlineforen auch von professionellen Meinungsmachern für Imagekampagnen genutzt, von den Pressebüros der politischen Parteien Österreichs genauso wie von der Wirtschaft oder verschiedenen Seiten bei diversen internationalen Konflikten wie zum Beispiel den Krisenherden in Nahost oder dem Südossetienkrieg. Wenn man sich lange Jahre mit dem Thema der Forenmoderation auseinandersetzt, dann ist einem diese Tatsache bewusst und man erkennt seine Pappenheimer. Trotzdem machen derartige Postings nur einen verschwindenden Anteil an der Gesamtmenge der Beiträge aus.

Rabinowich fragt sich abschließend, was Sigmund Freud wohl zu den Auswüchsen eines Internetforums zu sagen gehabt hätte. Umgekehrt fragt sich der User "unglaublich neutraler nick", was "Metternich wohl zu diesem Kommentar zu sagen gehabt hätte".

Eine Abschaffung der Usernicks würde eventuell Flegeleien einschränken. Umgekehrt würde es vielen Menschen die Möglichkeit nehmen, ihre Meinung ohne Furcht vor Konsequenzen äußern zu können.

Die Meinungsfreiheit ist eines der höchsten Güter in unserer Demokratie, eine Beschneidung dieser Freiheit muss daher wohlbegründet sein. Rabinowich gibt dem Forumsbetreiber, den Moderatoren, die Schuld am Erscheinen von gegen die Forenregeln verstoßenden Postings. Sie übersieht dabei aber, dass für derartige Beiträge in erster Linie immer noch derjenige verantwortlich ist, der das Posting verfasst. Und dabei ist es gleichgültig, ob es nun unter dem Klarnamen oder einem Pseudonym geschrieben wird, oder ob es von "Jura Säufer" oder einem anderen Forenteilnehmer stammt. (Michael Vosatka, derStandard.at, 21.7.2013)