Will Kinder in Bewegung bringen: John Herzog.

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derStandard.at: Körperliche Geschicklichkeit hilft Kindern, Unfälle zu vermeiden. Ab wann sollten Eltern und Erziehungsberechtigte die motorischen Fähigkeiten von Kindern gezielt fördern?

John Herzog: Je früher, desto besser. Wenn man den senso-motorischen Zugang bereits ab dem Babyalter anbietet, etwa durch Spielen mit Bällen, steigt die Chance, dass Kinder später auf diese kognitiven Erfahrungen der ersten Lebensjahre zurückgreifen.

derStandard.at: Ein Drittel der täglichen Unfälle von Kindern passiert im Kindergarten. Welche Übungen wirken in diesem Alter präventiv?

Herzog: Ich nenne das lieber Spiele als Übungen. Man kann im Prinzip alles auf einem einzigen Spiel aufbauen und dann erweitern. Man kann aus Spielen für den Kindergarten Spiele für Jugendliche und sogar Erwachsene machen. Das funktioniert hervorragend. Ein Beispiel wäre das Geschicklichkeitsspiel, bei dem man einen Würfel mit einer bestimmten Augenzahl nach oben in eine Schale befördern muss. Da kommt ein Quäntchen Glück dazu.

derStandard.at: Wie wichtig ist dieser spielerische Aspekt, um Kinder in Bewegung zu bringen?

Herzog: Sehr wichtig. Die Kombination aus Geschicklichkeit und Glück kommt schon bei zwei- oder dreijährigen Kindern sehr gut an. Einen Schaumstoffwürfel bekommt man günstig im Spielzeughandel. Indem man immer wieder das Ziel verändert, statt der Schale etwa einen Papierkorb oder ein Wasserbecken nimmt, bietet man dem Kind ein abwechslungsreiches Spiel, das einfach umzusetzen ist.

derStandard.at: Wie oft sollte man diese spielerischen Übungen durchführen, damit sie einen Effekt auf die motorischen Fähigkeiten des Kindes haben?

Herzog: So oft wie möglich. Es geht dabei ja auch um den Kontakt der Familienmitglieder zueinander. Man macht einen Fehler, wenn man die Bewegungsförderung der Kinder an Pädagoginnen und Pädagogen in Kindergarten und Schule delegiert. Das ist Nonsens. Alles beginnt im familiären Verbund, die meiste Zeit des Tages sind die Kinder bei den Eltern oder Erziehungsberechtigten. Wenn die Eltern Bewegung vorleben, kommen die Kinder schon mit einem gewissen Status in den Kindergarten oder in die Schule. Darauf kann man aufbauen.

derStandard.at: Abgesehen von Geschicklichkeitsspielen: Welche Sportarten fördern die Motorik von Kindern besonders gut? Braucht es wirklich Kindertanzen oder Kinderyoga?

Herzog: Man sollte die Kinder entscheiden lassen, welche Bewegung ihnen Freude macht. Eltern sollten nicht sagen: Du wirst Basketball- oder Tennisspielerin. Am besten ist es, wenn Kinder unterschiedliche Sportarten ausprobieren können. Sie wissen meist recht schnell, was ihnen Spaß macht. Wenn ich sehe, dass ein Kind einen kräftigen Schuss im Fußball, den Sport aber noch nicht ausprobiert hat, gebe ich den Eltern oder Lehrern eine konkrete sportspezifische Empfehlung. Wenn ich sehe, dass ein Kind Probleme beim Rückwärtslaufen hat und stolpert, empfehle ich Tanzen und alles, was mit Rückwärtsbewegungen zu tun hat, etwa Fußball oder Handball.

derStandard.at: Reicht es nicht, Kindern einfach ihren Freiraum zu lassen? Sie haben ohnehin einen natürlichen Bewegungsdrang. Wozu extra Förderung?

Herzog: Das mit der Freiheit ist so eine Sache. Ich kann Kinder nicht unbeaufsichtigt in einem Kindergarten toben lassen, wenn daneben eine Schnellstraße ist. Das heißt, ich muss einen Rahmen schaffen, in dem ein Spiel stattfindet - und trotzdem individuelle Freiräume sich entwickeln lassen.

Ich komme gerade von einem Bewegungskongress in Osnabrück. Dort wurde ein Modell präsentiert, bei dem Kindergartenkinder zwischen vier und sechs Jahren unter Aufsicht mit Stanleymessern arbeiten. Die Kinder lernen so den Umgang mit gefährlichen Situationen. Sie lernen zu erkennen, dass es ein Risiko gibt. Zum Unterschied zu einer Gefahr. Diese beiden Dinge werden ja gerne verwechselt.

derStandard.at: Wenn Eltern nicht so recht wissen, wie sie ihre Kinder gezielt motorisch fordern können, wohin können sie sich wenden?

Herzog: Da ist Österreich hinten. Es gibt "Rat auf Draht" oder die Ö3-Kummernummer, wenn man psychische Probleme hat. Eine Plattform für spielerische Bewegung gibt es nicht. Ich bin dabei, so etwas aufzustellen - eine Anlaufstelle, wo man gezielten Rat zu Bewegung bekommt und sich mit anderen vernetzen  kann.

derStandard.at: Was wünschen Sie sich für die Bewegungsförderung von Kindern in Österreich?

Herzog: Mehr Mut zum Risiko. Auch bei der Inklusion: Es braucht den Mut, auch bewegungseingeschränkte Kinder in "normale" Spielvorgänge einzugliedern. Das machen wir mit dem Bewegungskaiser, wir lassen Rollstuhlfahrer und geistig behinderte Menschen mitmachen. Die Gesellschaft muss erkennen, dass wir alle gleich sind. Wir sollten hier schon bei Kindern Sozialkompetenz stärken, indem die Stärkeren den Schwächeren  helfen. (Catharina Felke, derStandard.at, 14.8.2013)