Innsbruck 1938: Sepp Tanzer (mit verschränkten Armen) leitet den Gaumusik-Umzug.

Foto: www.dietiwag.org

Innsbruck - Das Datum war gut gewählt: Am 28. Februar 2008 wurde die Landesmusikschule von Kramsach, einer Gemeinde zwischen Kufstein und Wattens, "in einem großen Festakt" nach Sepp Tanzer benannt, der exakt 25 Jahre zuvor ebendort gestorben war.

Glaubt man der Homepage der Schule, war Tanzer "einer der bedeutendsten österreichischen Komponisten für Blasmusik" - und ein ehrenwerter Mann. Mehr als 30 Jahre sei er Landeskapellmeister von Tirol gewesen, er habe über 150 Werke für Blasmusik komponiert, "die aus dem Repertoire vieler Musikkapellen im In- und Ausland nicht wegzudenken" seien. Mit seinem Marsch Olympioniken wurden 1964 die Olympischen Spiele in Innsbruck eröffnet, im gleichen Jahr erhielt Tanzer den Titel Professor verliehen.

Über dessen NS-Vergangenheit erfährt man auf der Homepage nichts. Obwohl Tanzer von 1938 bis 1945 Gaumusikleiter von Tirol und Vorarlberg war. Obwohl er beim Treffen von Hitler und Mussolini 1940 am Brenner den Badonviller-Marsch dirigierte, der dem Führer besonders gut gefiel. Und obwohl Tanzer 1945 ein dreijähriges Auftrittsverbot erhielt.

Die Benennung der Musikschule nach Tanzer vor fünf Jahren prangert der unbequeme Tiroler Publizist Markus Wilhelm auf seiner Homepage www.dietiwag.org an. Und im Interview meint u. a. der Komponist Johannes Maria Staud, dass "ein eingefleischter Nazi" wie Sepp Tanzer nicht das Vorbild für die Jugend sein dürfe.

Gegenüber dem Standard bekennt Kulturlandesrätin Beate Palfrader (VP) ein, dass die Rolle Sepp Tanzers in der NS-Zeit Anfang 2008 "ohne Weiteres zu erheben gewesen" wäre. Sie halte die Namensgebung, die vor ihrer Zeit erfolgte (Palfrader ist erst seit Juli 2008 Landesrätin), "für sehr problematisch".

Wie nun zu reagieren sei (etwa mit einer neuerlichen Umbenennung), will sie von einem Gutachten abhängig machen, das 2012 beim Historiker Michael Wedekind in Auftrag gegeben wurde und im Herbst vorliegen soll. Es beschäftigt sich mit dem Stand der Forschung über die Entwicklung der organisierten Tiroler Volkskultur "mit besonderem Fokus auf die Volksmusik und die Entwicklung im Nationalsozialismus".

Auslöser war 2011 die Veröffentlichung einer CD mit Kompositionen von Josef Eduard Ploner durch das private, vom Land geförderte Institut für Tiroler Musikforschung: Im Booklet wurde, wie u. a. Wolfgang Meighörner (Direktor der Tiroler Landesmuseen) und Musikwissenschafter kritisierten, mit keinem Wort erwähnt, "dass Ploner eine Schlüsselfigur im NS-Musikleben Tirols war".

"Verkürzt dargestellt"

Ploner gab "gemeinsam mit Gauleiter Hofer - singulär für das gesamte Dritte Reich - ein Gauliederbuch heraus, das u. a. Parteigesänge und zynische antijüdische Lieder enthält, lustig verbrämt mit Tirolertum". Ploner sei ein "NS-Hetzer in Wort und Ton" gewesen, die auf der CD enthaltene Kantate Das Land im Gebirge habe er dem Gauleiter gewidmet; im Booklet hingegen, von Institutsleiter Manfred Schneider herausgegeben, werde "der Komponist heroisiert und in grotesker Verzerrung zum ,idealtypischen Tiroler' stilisiert". Dies könne aber kein Rezept zur Rettung vermeintlicher "Größen" aus der NS-Geschichte sein.

Auch Palfrader gelangte zur Einsicht, dass Ploners Biografie "verkürzt dargestellt und mit subjektiven Wertungen des Autors geschönt wurde". Sie veranlasste den sofortigen Einzug der CDs. Das Institut für Tiroler Musikforschung sollte in der Folge Materialien zu Ploner und anderen NS-Komponisten, darunter Karl Senn und Emil Berlanda, ins Netz stellen. "Da diese Veröffentlichungen indes nicht den Standards wissenschaftlichen Arbeitens entsprechen", so Palfrader, wurde heuer die bisher für die Homepage gewährte Förderung gestrichen.

Wilhelm, der auf seiner Homepage verharmlosende Schneider-Zitate über die Komponisten mit deren Äußerungen in der NS-Zeit kontrastiert, befürchtet aber, dass Palfrader das Gutachten nicht publik machen werde. Sie befindet sich in der Tat in einer misslichen Situation: 2008, bei der Verleihung des Titels Professor an Schneider durch Kulturministerin Claudia Schmied (SPÖ), hielt Palfrader die hymnische Laudatio. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 27.8.2013)