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Ayad Al-Ani über neue Formen der Zusammenarbeit und anderer Wege in der Bildung.

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STANDARD: In Ihrem Buch "Widerstand in Organisationen - Organisationen im Widerstand" beschreiben Sie das Ende der klassischen Organisation, der klassischen Hierarchie und Führung bzw. den zarten Beginn neuer Kollaborationsformen und Arbeitsweisen ...

Al-Ani: Die klassische Organisation mit ihrem Hierarchiekonzept hat schon in den 1990er-Jahren ihren Höhepunkt erreicht. Schon damals versuchte man dezentrale und selbstgesteuerte Organisationsformen umzusetzen. Allerdings fehlten noch die dafür notwendigen Technologien. Letztlich ging es schon damals um den Widerspruch, dass sich die Hierarchie vom Individuum wünscht, sich vollständig einzubringen, und dem Fakt, dass sie eigentlich nur einen geringen Teil unserer Persönlichkeit, unserer Fähigkeiten und Ideen abruft.

STANDARD: Als eine Folge beschreiben Sie Mitarbeiter, die ihr Potenzial deshalb außerhalb ihrer Organisation entfalten.

Al-Ani: Durch die neuen Technologien und durch soziale Medien haben wir jetzt verstärkt die Möglichkeit, für uns selbst und vor allem mit anderen Menschen interessante Dinge zu tun. Das konnten wir vorher nicht in dieser Form. Viele Menschen haben also neben ihrer Arbeit in klassischen Organisationen begonnen, als sogenannte "freie Produzenten", als Peers, zu arbeiten, sich zusammenzuschließen und faszinierende Dinge zu tun - Open Software zu entwickeln oder Lernprogramme zu schreiben. Menschen schreiben an Gesetzesvorlagen oder beteiligen sich an Produktentwicklungen.

STANDARD: Die guten Ideen und das innovative Potenzial bleiben somit nicht in der Organisation.

Al-Ani: Genau. Und jetzt stellt die Hierarchie fest - und das ist schon paradox -, dass das, was diese Peers machen, extrem nützlich sein kann bzw. vermarktbar ist. Weil die Hierarchie aufgrund ihrer schlanken Strukturen gar nicht mehr ausreichend experimentieren kann, um genügend Innovationen für den Hyperwettbewerb zu produzieren, muss sie versuchen, diese Peer-Produktionen für sich zu nutzen.

STANDARD: Start-ups, die von Konzernen gekauft werden, als Beispiel, die gibt es ja schon. Was ist daran neu?

Al-Ani: Die spannende Frage ist, wohin führt das? Siegt die klassische Hierarchie? Übernimmt sie dann alle Peer-to-Peer-Pflänzchen, oder aber wird es irgendwann einen eigenen Sektor an P2P-Produktionen geben, der dann möglicherweise mit der Hierarchie kooperiert und dafür Geld verlangt?

STANDARD: Aber selbst in dieser modernen, vernetzten Form der Arbeit gibt es Hierarchien.

Al-Ani: Ja, aber eine Hierarchie des meritokratischen Verständnisses, in der Reputation vor allem durch Leistung zählt, und nicht eine Hierarchie, die unflexibel und stark formal ist. Im meritokratischen Verständnis habe ich einen Status innerhalb einer Organisation, der aufgrund einer bestimmten Fähigkeit und Leistung erklärbar ist. Wenn ich diese Leistung nicht erbringe, dann ist auch mein Status schnell weg.

STANDARD: Das wirft ein anderes Licht auf Führung.

Al-Ani: Insofern, als in einem meritokratisch geführten System der Manager zurückhaltender und indirekter führt und pausenlos seinen eigenen Beitrag überdenken muss. Um auch inhaltlich zu führen, müsste der Manager dann mehr wissen als die Peers. Die wichtigste Aufgabe des Managements wird auch nicht die direkte Führung sein, sondern die Schaffung von Netzwerken, in denen Mitarbeiter und Peers möglichst selbstbestimmt arbeiten und innovativ sein können.

STANDARD: Damit werden nicht nur viele Führungskräfte, sondern auch Arbeitnehmer, die dezidiert geführt werden wollen, Schwierigkeiten haben. Was passiert, wenn ich mich nicht jeden Tag beweisen kann oder gar will?

Al-Ani: Die klassische Hierarchie wird ja nicht von heute auf morgen verschwinden. Die beiden Systeme, P2P und die Hierarchie, werden zu Netarchien verschmelzen, und wir werden in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren eine Parallelität der alten und neuen Welt bewerkstelligen müssen. Es müssen zudem Sozialsysteme geschaffen werden, die gerade auch für Menschen in Phasen geringer oder keiner Leistungsfähigkeit zur Verfügung stehen. Wichtig sind auch kostengünstige virtuelle Lernmöglichkeiten, die uns ein kontinuierliches, selbstbestimmtes Lernen ermöglichen. Nur durch dieses Lernen können wir relevant bleiben.

Gesamtgesellschaftlich betrachtet muss man sagen, dass wir in einer globalisierten Welt zur Innovation verdammt sind. Und wenn diese Netarchie nun ein Mechanismus ist, der uns hilft, möglichst schnell an möglichst viele gute Ideen heranzukommen, dann ist das sicher ein Weg, den man beschreiten muss. (Heidi Aichinger, STANDARD, 31.8./1.9.2013)