"Bereits die Bedingungen in den ersten Lebensmonaten haben entscheidenden Einfluss auf die individuelle physische und kognitive Konstitution im späteren Leben", sagt Forscherin Gabriele Doblhammer.

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Rostock - Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die in den ersten Lebensjahren eines Menschen herrschen, haben Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Wissenschaftlern der Universitäten Rostock und Mannheim sowie des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). 

Entscheidender Einfluss

Untersucht wurden Personen aus zehn europäischen Ländern, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geboren wurden. Jene Personen, deren Geburt in eine wirtschaftliche Rezessionsphase fiel, haben aktuell einen schlechteren kognitiven Gesundheitsstand.

"Wir sind zur Erkenntnis gelangt, dass bereits die Bedingungen in den ersten Lebensmonaten entscheidenden Einfluss auf die individuelle physische und kognitive Konstitution der Menschen in ihrem späteren Leben haben", sagt Gabriele Doblhammer, Professorin für empirische Sozialforschung und Demographie an der Universität Rostock. 

Bessere kognitive Leistungen

Die Forscher fanden heraus, dass Menschen, die während einer Rezession oder einer wirtschaftlichen Boomphase geboren wurden, eine im Alter signifikant voneinander abweichende kognitive Leistungsfähigkeit aufweisen. "Wer in Boomjahren geboren wurde, verfügt über eine bessere sprachliche Ausdruckskompetenz, besseres Erinnerungsvermögen und generell bessere kognitive Leistungen", so Doblhammer, die auch für das DZNE tätig ist. Dieser Effekt ist unabhängig von Herz-Kreislauf-Risikofaktoren, wie Fettleibigkeit, Bluthochdruck oder Diabetes, die ebenfalls zu verminderten kognitiven Leistungen führen können und an der Entstehung von Demenzen beteiligt sind.

Die Rostocker Forschungen legen den generellen Schluss nahe, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den ökonomischen Bedingungen, die in den ersten Lebensjahren herrschten, und den kognitiven Fähigkeiten im Alter gibt. Laut Doblhammer gibt es eine Reihe von möglichen Wirkungszusammenhängen: Wirtschaftliche Rezessionszeiten seien mit schlechterer Ernährung, einem erhöhten Maß an Infektionserkrankungen, aber auch mit mehr Stress, der sich auf die Eltern-Kind Beziehung auswirken kann, verbunden. 

Sozialpolitik gefordert

Heutige Rezessionsphasen haben nicht mehr die Wucht wie zum Beispiel die Weltwirtschaftskrise der späten 1920er Jahre. Inwieweit aber das durchaus vorhandene Stresspotenzial aktueller Rezessionen Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit später im Leben hat, lässt sich wissenschaftlich noch nicht eindeutig bestimmen.

Fest steht aber laut den Forschern, dass die Sozialpolitik den Zusammenhang von wirtschaftlichen Krisensituationen und deren Auswirkungen auf die heranwachsende Generation ernst nehmen muss. Ganz besonders sollten dabei die Bedürfnisse von Frauen mit Kinderwunsch, von Schwangeren und dem Nachwuchs mehr Beachtung finden, um ihnen spezielle Hilfen anbieten zu können. Dies würde helfen, negative Langzeitfolgen hinsichtlich der kognitiven Leistungsfähigkeit der nächsten Generation zu verhindern. (red, derStandard.at, 12.9.2013)