Der Pilznarr mit seinem Schatz: Peter Handkes Hände, fotografiert von Lillian Birnbaum im Oktober 2005 in dessen Haus in Chaville.

Foto: Lillian Birnbaum/Müry Salzmann Verlag

Wien - Peter Handke ist natürlich ein Narr, ein Sammelnarr. Die Fotografin Lillian Birnbaum porträtierte den Schriftsteller wiederholte Male in dessen Haus in Chaville bei Versailles. Erst beiläufig, später gezielt richtete sie dabei ihr Augenmerk auf die kleinen, nach einer "geheimnisvollen Ordnung" arrangierten "Dinge" im Haus, die sich oft zu Clustern gefügt hatten, darunter - neben Bleistiftstummeln, Manuskripten und Bücherbergen - all das, was Handke aus dem Wald mitgebracht hatte: Zapfen, Schneckengehäuse, Federn, Äste, Maroni, Steine und so weiter.

Es entstand schließlich die Idee, den Autor und Übersetzer ausschließlich über dieses Kunterbunt zu charakterisieren: 2011 erschien bei Müry Salzmann der Band Peter Handke. Portrait des Dichters in seiner Abwesenheit. Und weil es nicht ganz ohne Humor geht, ist Handke auch nicht ganz abwesend: Auf einem der vielen stimmungsvollen Fotos sieht man dessen Hände beim Putzen und Schneiden von Pilzen.

Als Einleitung steuerte Peter Hamm einen Versuch über das Haus des Dichters bei, in das Handke 1990 gezogen war. Das erste Buch, das dieser in Chaville schrieb, sei, so Hamm, "der dritte und letzte der Versuche" gewesen, der Versuch über den geglückten Tag. Doch da irrte Hamm: Völlig überraschend brachte Handke vor einem Jahr seinen amüsanten Versuch über den Stillen Ort heraus. Und nun erweitert er die Versuchsreihe mit dem Versuch über den Pilznarren noch einmal. Diesmal aber verzichtet Peter Handke darauf, ein bestimmtes Thema (wie die Jukebox oder die Müdigkeit) zu umkreisen: Der neue Versuch ist eine leichtfüßige Erzählung, "eine Geschichte für sich".

Man könnte meinen, dass Handke sich selbst, wie ja so oft, zum Gegenstand der Betrachtung macht. In Birnbaum Fotos entdeckt man mehrfach gesammelte Pilze - und Bücher über Pilze, auf die Handke in seinem Versuch auch eingeht. Doch den Pilznarren, um des es hier geht, nennt der Ich-Erzähler einen Freund. Man könnte ihn auch als möglichen Gegenentwurf bezeichnen - oder als die andere Seite der Medaille. Der eine verschlingt in der Jugend Literatur, der andere Sachbücher. Beide studieren Jus, doch aus dem einen, dem Erzähler, ist "nie ein zünftiger Jurist geworden", während der andere als "Staranwalt" Kriegsverbrecher beim Internationalen Gericht verteidigt.

König der Fußvolkscharen

Der Freund sammelt zunächst, in der Kärntner Kindheit, Eierschwammerln - ein Wort, das Handke nie gebraucht, er spricht nur von den "Gelben", von den "Gelblingen" und den "Pilzen des heiligen Johannes". Damals war der Freund aber noch kein Narr: Er sammelte nur, um etwas Geld zu verdienen. Das einschneidende Erlebnis folgte erst Jahrzehnte später, als der Freund seinen ersten Steinpilz, den "König der Fußvolkscharen", fand. Von da an zog es ihn immer öfter "in die Pilze".

Handke nennt diese Schatzsuche das "letzte Abenteuer": Die Wildnis gebe es längst nicht mehr, auch nicht in Alaska. Aber die Pilze seien "die einzigen Gewächse auf Erden", welche sich nicht züchten und nicht zivilisieren ließen. Handke greift erneut das Motiv seiner wegweisenden Erzählung Langsame Heimkehr aus 1979 auf: Zu eben dieser Heimkehr entschloss sich der Erdforscher Valentin Sorger - in Alaska.

Der Anwalt wird zum "Pilzforscher", dem die Idee eines Pilzbuchs kommt. Doch dann folgt, wie so oft bei Handke, das Scheitern: Der Pilznarr verwandelt sich in einen Fundamentalisten und Suchtkranken, der von Frau und Kind verlassen wird. In diesen Passagen entdeckt man durchaus Parallelen zu Lucie im Wald mit den Dingsda. Dieses Märchen über einen Pilznarren und seine Tochter veröffentlichte Handke 1999. Als Märchen, richtig berührendes Märchen, endet auch der geglückte Versuch über den Pilznarren. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 18.9.2013)