Es ist wieder einmal Update-Zeit am Linux-Desktop: Sechs Monate nach der letzten GNOME-Release gibt es nun wieder eine neue Version der freien Softwaresammlung. GNOME 3.10 bringt dabei die gewohnte Mischung aus neuen Funktionen und Feinschliff am Bestehenden. Dazu gesellen sich dieses Mal aber auch wichtige technologische Umbauten. All dies soll in Folge einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden.
Header Bars
Mit der neuen Version verabschiedet sich GNOME von einem der ältesten Konzepte am Linux-Desktop: Der getrennten Darstellung einer Titelzeile. Statt dessen gibt es nun sogenannte "Header Bars", in denen sowohl der Schließknopf für das Fenster als auch die Navigation des betreffenden Programms selbst untergebracht sind.
Vorteile
Diese Kombination bedeutet zunächst vor allem, dass einiges an vertikalem Platz eingespart wird. Auch wird nun bei der maximierten Ansicht von Fenstern wieder ein Schließknopf angezeigt - was zuletzt ja nicht der Fall war, da in diesem Modus die Titelzeile vollständig wegfiel. Ein weiteres Plus: Der Header Bar kann je nach Kontext umgestaltet werden, sowohl farblich als auch in Hinblick auf die dargebotenen Funktionen.
Inkonsistent
Alles in Allem ein durchaus interessantes Konzept, an das man sich im Alltag rasch gewöhnt, und nicht zuletzt dem visuellen Auftritt von GNOME3 gut tut. Im Moment leidet darunter aber auch etwas die Konsistenz in der Desktopnutzung. Verwenden doch bislang nur wenige Programme die "Header Bars", selbst bei den GNOME3-Kernanwendungen ist dieser Wechsel noch nicht durchgehend umgesetzt. Alle anderen Programme zeigen aber weiterhin eine klassische Titelzeile an.
Technologie
Mit dem Umstieg auf die "Header Bars" beginnt übrigens das in der Community lange kontrovers diskutierte Zeitalter der "Client Side Decorations". Dies wiederum ist nicht zuletzt eine Vorbereitung auf einen wichtigen technologischen Umbau: Den Wechsel auf den X.org-Nachfolger Wayland.
Wayland
Überhaupt bietet GNOME 3.10 in dieser Hinsicht massive Fortschritte, kann der Desktop doch erstmals zumindest rudimentär unter Wayland genutzt werden. Zu diesem Zwecke wurden zahlreiche Komponenten umgebaut und von ihren X-Abhängigkeiten befreit, darunter etwa das Toolkit GTK+, die GNOME Shell oder der Fenstermanager Mutter.
Experimentell
Der aktuelle Stand wird allerdings explizit als experimentell bezeichnet - und das zurecht. Zwar lässt sich der Desktop mit etwas Nachdruck unter Wayland starten, es sind aber noch eine Reihe von Problemen und funktionellen Defiziten in Kauf zu nehmen. Die Performance ist ebenfalls noch nicht dort, wo sie eigentlich sein sollte. Trotzdem: Ein durchaus spannender Blick in die Zukunft, mit der nächsten großen Version soll die Wayland-Portierung von GNOME dann abgeschlossen werden.
Systemstatus
Eine weitere sichtbare Neuerung ist die Umgestaltung des Systemstatusmenüs. Die bisherigen Einzeleinträge wurden in ein gemeinsames Menü zusammengeführt. Damit soll dieser Bereich nicht nur kompakter werden, es werden auch einige durch die Trennung verursachte Problem ausgeräumt - etwa in Bezug auf das Handling von Funktionen, die mehrere bisherige Untermenüs betreffen. Ein Beispiel hierfür ist der Flugzeugmodus, der neben Netzwerk auch Bluetooth betrifft, und so bisher nicht vernünftig umgesetzt werden konnte.
Privacy
Im Zuge des Redesigns hat man gleich die dauernde Anzeige des NutzerInnennamens im Panel entfernt, hier verweist man auf Privacy-Bedenken. Etwas umständlich wirkt allerdings, dass so manche Funktion erst nach einem Klick auf den entsprechenden Menüpunkt aufklappt. Insbesondere wenn in diesem Untermenü dann nur ein einzelner Eintrag zu finden ist, wie es etwa bei einem VPN der Fall ist.
GNOME Shell
Bei der GNOME Shell hieß das Motto ansonsten vor allem Feinschliff. So manches optische Detail, und die eine oder andere Übergangsanimation wurden angepasst. Dazu kommt, dass die Programmdarstellung in der Übersicht jetzt seitenweise organisiert ist.
Der Drop-Down-Kalender aus dem Panel kann nun mit der Tastatur durchstöbert werden, die Darstellung von Benachrichtigungen am Lock-Screen wurde optisch überarbeitet, selbes gilt für den Login-Screen. Apropos Feinschliff: Die von GNOME genutzte Schrift Cantarell wurde um zahlreiche Sonderzeichen erweitert, zudem wurde das Aussehen weiter präzisiert.
Speed
Für so manchen wohl noch wichtiger: Das Software Rendering der GNOME Shell ist erheblich beschleunigt worden, wovon vor allem der Einsatz in virtuellen Maschinen profitiert. Was leider weiterhin fehlt, ist die Möglichkeit Folder selbst zu organisieren. So liegt deren Potential weitgehend brach, und ist auf fix vorgegebene Einordnungen beschränkt. Bleibt zu hoffen, dass dies mit GNOME 3.12 nachgereicht wird.
Neue Anwendungen
Mit GNOME 3.10 werden gleich mehrere neue Anwendungen in den Desktop aufgenommen. Da wäre einmal GNOME Photos, das sich als einfache Bildersammlung versteht. Bilder werden dabei automatisch über die Desktop-Suche Tracker aufgespürt, die NutzerInnen müssen insofern keinerlei Einrichtung vornehmen. Zudem können bei Flickr abgelagerte Fotos eingebunden werden, es gibt die Möglichkeit Aufnahme zu Favoriten zu erklären, oder sie in Alben zu organisieren. Auch eine Druckfunktion sowie die Möglichkeit Bilder mit einem UPNP-Server im lokalen Netzwerk zu teilen ist vorhanden. Trotzdem wirkt GNOME Photos im derzeitigen Zustand noch recht "roh", viele NutzerInnen werden wohl weiterhin lieber zu mächtigeren Bildverwaltungen wie Shotwell greifen.
Musik
Ebenfalls neu mit dabei ist GNOME Music, auch hier werden die diesbezüglichen Inhalte automatisch aufgespürt. Die Wiedergabe von lokal abgelagerten Liedern funktioniert schon mal ganz gut, die Integration mit dem restlichen Desktop ist - wenig überraschend - vorbildlich. Ansonsten fehlt noch einiges an geplanter Funktionalität, allen voran die Anbindung an NAS oder Online-Quellen, entsprechend wird GNOME Music derzeit auch ausdrücklich als "Preview" bezeichnet.
Karten
Den selben Status beansprucht GNOME Maps für sich, eine einfache Kartenanwendung für den Desktop. Das Kartenmaterial wird von OpenStreetMaps übernommen, auch nach einzelnen "Points of Interest" lässt sich suchen. Dank Geolokalisierung kann darüber hinaus die aktuelle eigene Position dargestellt werden. Mehr Funktionalität gibt es bisher noch nicht.
Lokalisierung
Auch sonst zieht sich die Unterstützung von Geolokalisierung durch die neue Release: So können die Systemeinstellungen nun - endlich - anhand dieser Informationen die Zeitzone automatisch erkennen und bei einem Ortswechsel anpassen. Und bei GNOME Clocks wird immer die lokale Uhrzeit selbsttätig in die Liste aufgenommen.
Softwarezentrale
Der letzte große Neuzugang nennt sich GNOME Software, der Desktop bekommt also endlich seine eigene Softwarezentrale. Wie von anderen solchen Lösungen gewohnt, können hier neue Programme aufgestöbert oder bestehende aktualisiert werden, der Schwerpunkt liegt auf einfacher Nutzbarkeit. Wie immer bei solchen Komponenten bleibt es natürlich abzuwarten, welche Distribution schlussendlich auch davon Gebrauch machen wird. Fedora ist da wie gewohnt der erste Kandidat - und hat das Tool denn auch bereits in aktuelle Testversionen aufgenommen. GNOME Software ist ebenfalls noch als Preview zu verstehen, im nächsten Releasezyklus sollen dann unter anderem Anwendungs-Screenshots sowie Bewertungsmöglichkeiten hinzukommen.
Einstellungen
Bei den Systemeinstellungen wurden diverse Dialoge umgestaltet: Allen voran die Bildschirmeinstellungen, die sich nun übersichtlicher präsentieren. Darüber hinaus werden die Einstellungen zur Barrierefreiheit jetzt übersichtlich auf einer Seite dargestellt. Ebenfalls neu: Mit GNOME 3.10 lässt sich ein separater Bildschirmhintergrund für den Lock-Screen festlegen.
Anwendungen
Einige vermischte Neuerungen im Schnelldurchlauf: "Notes" (ehemals: Bijiben) kann nun Notizen mit ownCloud synchronisieren und in Sammlungen organisieren. Zudem lassen sich einzelne Notizen jetzt über die GNOME-Shell-Suche aufspüren. Dies gilt auch für Schlüssel von Seahorse, und - besonders nett - Wetterwerte in bei GNOME Weather eingetragenen Orten. Wer also schnell mal wissen will, wie das Wetter in New York ist, öffnet mit der "Super"-Taste die GNOME-Shell-Suche und tippt zwei, drei Buchstaben - das Ergebnis wird direkt in der Suchansicht präsentiert.
Smartcard
Der Login ist nun mit einer Smartcard möglich, bei deren Entfernung wahlweise der Bildschirm gesperrt oder der aktive Account automatisch ausgeloggt wird. Weitere Fortschritte gibt es bei der Einbindung von Online-Services: So funktioniert nun endlich die Zwei-Weg-Authentifizierung bei Google wieder korrekt, auch lassen sich hier nun Chat-Accounts festlegen. Und GNOME Documents kann bei ownCloud abgelagerte Dokumente darstellen.
Virtuell
Die Virtualisierungslösung Boxes ermöglicht Images von QEMU, Virtualbox, VMware und VirtualPC zu importieren, zudem können Dateien per Drag & Drop in ein Gastsystem kopiert werden. Der Dokumentanzeiger Evince bietet in der Version 3.10 "Caret"- und Tastaturnavigation, was vor allem in Hinblick auf die Barrierefreiheit wichtig ist. Bei Contacts wurde die Darstellung der Kontaktliste überarbeitet.
Kein Google
Mit dem Hinweis auf Privacy-Bedenken kommt beim GNOME Web-Browser (ehemals: Epiphany) DuckDuckGo statt wie bisher Google als Default-Suche zum Einsatz. Zudem kann jetzt die Web-History in der Shell-Suche durchstöbert werden. Mit GNOME Web erstellte Apps erhalten eine einfache Navigation, einmal mehr als "Header Bar" mit der Titelzeile kombiniert.
Tweaken
Bei den GNOME Tweak Tools - mit denen eine Fülle von sonst verborgenen Detaileinstellungen vorgenommen werden können - wurde ein Redesign des User Interfaces vorgenommen. Neu ist auch die Möglichkeit die Einträge des App-Menüs als Menüzeile in die Anwendung zurückzuverlagern - für alle jene, die sich nicht so recht mit diesem Konzept abfinden können. Wirklich empfehlenswert ist dies allerdings nicht, sind dann doch bei manchen Programmen plötzlich zwei Menüzeilen zu finden.
Hochauflösend
Einiges an Entwicklungszeit ist in die Unterstützung hochauflösender Displays geflossen, wie sie etwa beim Chromebook Pixel oder bei manchen Macbooks zum Einsatz kommen. GNOME 3.10 passt sich nun also solchen Gegebenheiten automatisch an, und skaliert die Darstellung entsprechend. Und dann gibt es etwas versteckt noch "sanftes Scrollen" in GNOME-Anwendungen. Diese kann durch langes Drücken auf den Scrollbalken ausgelöst werden.
Verfügbarkeit
GNOME 3.10 steht wie gewohnt in Form des Source Codes der Einzelanwendungen zum Download. Alternativ dazu steht auch ein Live-Image zum Ausprobieren zur Verfügung. Zudem sollte es bald in die Entwicklungsversionen diverser Linux-Distributionen einfließen. Unterdessen ist bereits die Entwicklung von GNOME 3.12 angelaufen, das im März 2014 fertiggestellt werden sollte. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 25.09.13)