Hans Rauscher im Gespräch mit Manfried Rauchensteiner.

Österreich-Ungarn hatte 1914 keine pharmazeutische Industrie. Man ging 1914 in den Krieg und musste sich Medikamente für die verwundeten Soldaten von den Deutschen ausborgen. Manfried Rauchensteiner hat in seinem tausendseitigen Werk "Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie" unter anderem die unglaubliche Fahrlässigkeit herausgearbeitet, mit der die Monarchie in einen bewusst herbeigeführten Krieg ging. Wobei Rauchensteiner besonders die Rolle von Franz Joseph gegen alle Klischees vom guten, alten Kaiser beleuchtet: Der Monarch entschied sich aktiv und fast im Alleingang für den Krieg und hatte, nachdem die k. u. k. Armee sehr bald in eine katastrophale Lage geriet, nicht die Kraft, auf die Notbremse zu treten.

Zum aktuellen Buch von Rauchensteiner

Österreich-Ungarn stellte sich in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg als ein saturiertes Reich dar, das keinen Konflikt haben wollte. Aber es arbeitete fleißig daran, sich Feinde, ja Todfeinde zu machen: Serbien, Russland. Man wollte sogar bewusst den Krieg (gegen Serbien, nicht einen Weltkrieg), war aber überhaupt nicht darauf vorbereitet. Kaiser Franz Joseph, mit 84 "keineswegs senil", war nicht der alte Mann, der in den Krieg gedrängt wurde, sondern gab seinen Willen zum Krieg kurz nach dem Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand im engen Kreis unmissverständlich bekannt. Als die k. u. k. Armee schon nach wenigen Monaten den Krieg nur mit deutscher Hilfe weiterführen konnte, war Franz Joseph mentalitätsbedingt nicht imstande, die Notbremse zu ziehen und einen Separatfrieden anzustreben.

So hart und jenseits aller Schönfärberei interpretierte der renommierte Historiker und frühere Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums bei der Vorstellung seines Buches die Situation. Der tausendseitige Band basiert auf seinem etwa 20 Jahre früher erschienenen "Tod des Doppeladlers". Für das 100-Jahr-Gedenken 2014 hat Rauchensteiner vor allem die Interpretation der Rolle Franz Josephs angeschärft. Nicht dass dieser - oder Österreich - allein schuld gewesen wäre, auch andere Staaten versagten. Aber Franz Josephs und Österreichs Rolle war an diesem "Wendepunkt der Geschichte" aktiver, als das herkömmliche Selbstverständnis meint.

Das Buch ist ein dicker Wälzer, aber für jeden historisch-politisch Interessierten spannend zu lesen. Die "griechische Tragödie" des Marsches in den Krieg, die unglaublichen Zustände, die zu unglaublichem Elend führten, die ernüchternden Einblicke in die Führung eines 52-Millionen-Vielvölkerstaats. Deutlich wird herausgearbeitet, dass Österreich ab 1915 ein deutscher Klientenstaat war; dass die Völker nicht von Anfang an, sondern erst nach schrecklichen Verlusten eines inkompetent geführten Krieges wegstrebten: aus einem Reich, das kaum mehr regierbar war. (Hans Rauscher, derStandard.at, 20.9.2013)