Stefan Nèmeth und sein neues Projekt Innode treten mit Maschinen in künstlerischen Dialog.

Foto: Julie Cambier

Wien - Das Tamagotchi ist ein virtuelles Küken, um das man sich vom Zeitpunkt des Schlüpfens an wie um ein echtes Haustier kümmern muss. Das Vieh leidet an Hunger und Durst, lästig und fad. Es will zu Bett gebracht werden, und Gutenachtbussis will es auch. Es entwickelt "Persönlichkeit", kurz es kommt in die Pubertät und wird deppert. Sollte man es aber einmal vernachlässigen, wird es sofort krank und stirbt. Das ist jetzt der entscheidende Unterschied: Durch Drücken eines Reset-Schalters kann man es wiederbeleben. Ein neues Spiel beginnt.

Der Vergleich mag sich für ernsthafte Kunst zwar nicht gehören. Aber was das Trio Innode anstrebt, ist vom Bestreben eines Tamagotchispielers, einen Spielcomputer großzuziehen und dadurch als Benutzer eines Rechenprogramms elterliche Gefühle für ein wachteleigroßes Stück Plastik zu entwickeln, nicht wahnsinnig weit entfernt.

Zwei Schlagzeuger und ein Mann an einem Synthesizer aus den Gründertagen Depeche Modes füttern die Schaltkreise mit Geräuschen und Klängen. Die Maschine denkt darüber nach, ob ihr das schmeckt, berechnet Risiko und Nebenwirkungen - und spuckt die Ergebnisse ihrer Programmdurchläufe den Musikern ins Gesicht. Da freuen sich die drei Väter ernsthaft, aber doch gerührt und tanzen mit dem Tamagotchi Ringelreih. In der Welt der Kunst nennt man das: Der Mensch tritt mit einer Maschine in künstlerischen Dialog. Organisch generierte Rhythmen werden so dekonstruiert und dann rekonstruiert (was so nicht stimmt, weil eine Maschine nichts dekonstruieren kann, sie ist nur datenverarbeitungsmäßig unzureichend programmiert; mehr davon in der Terminator-Filmreihe).

Das klingt, dröhnt, rattert und ruckelt nicht nur auf dem programmatisch betitelten Gridshifter überzeugend gut, dem im Sommer erschienen Debütalbum Innodes. Live in den Gürtelbögen des Wiener Rhiz kommt zur sich ständig mit reduktionistischen, elektronisch bearbeiteten Rhythmen überlagernden und mit- und gegeneinander korrespondierenden Klöppelei der beiden Schlagzeuger Stefan Bernhard Breuer (Elektro Guzzi) und Steve Hess (sonst bei den fantastischen US-Bands Locrian und Pan.American beschäftigt) noch Stefan Nèmeth in einer neuen Rolle. Machte er früher mit dem Trio Radian und dem Duo Lokai, drastisch geflüstert, die Stille hörbar und jazzte die Ereignislosigkeit zum dramatischen Topevent hoch, so gibt er jetzt bei Innode manchmal gar die rockende Rampensau.

Man hört schon noch, wenn der Synthie die Wählgeräusche eines Tastentelefons und das Pumpen eines menschlichen Herzens nachmacht - oder sich die Schatten von Mordor über Auenland legen. Oft aber schneidet Nèmeth nun einfach mit einer Flex am Ast, auf dem er sitzt. Dann kracht es. Tolles Album. Exzellente Band. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 10.10.2013)