Nicolas Jaar (links) und Dave Harrington produzieren als Darkside referenzreichen Elektroniksound.

Foto: Matador

Wirklich abgrundtief schlechte Musik ist ja leider selten geworden. Dank der heutigen Technik, die nicht nur einen sofortigen Zugriff auf alle existierende Musik ermöglicht, die sich die Leute während der letzten Jahrhunderte ausgedacht haben, besteht nicht nur die Möglichkeit, immer gleich alles zu wissen, und zwar mittels Mausklick. Es verhält sich dann auch so, dass junge Menschen mitunter auf sonderbare Ideen kommen, wenn es darum geht, eigene Musik zu produzieren. Der 23-jährige US-Chilene Nicolas Jaar zum Beispiel hat in seinen jungen Jahren nicht nur schon heftig in Blog-Hausen gelobten Minimal Techno produziert. Der klang irgendwie postpostmodern-zärtlich und -verwaschen und auf jeden Fall stark unerheblich. Für die kunstvoll schludrige Produktion des Debütalbums Space Is Only Noise wurde er vor zwei Jahren aber auf diverse Jahreslistenbestplätze gehievt. Später setzte er diese in der stillen Kammer am Laptop entstandenen Tracks dann auch noch mit einer richtigen Liveband auf der Bühne um, was in diesem Genre gleich als mittelschwere Sensation gilt und dadurch den absoluten Weltrekord bedeutet.

Die Musik der alten Leute

Nun nach regelmäßigen DJ-Jobs in den angesagtesten Clubs dieser Welt, in denen er mit der Tatsache konfrontiert wurde, dass subtile Momente während eines DJ-Sets um drei Uhr früh ungefähr zehn Sekunden lang eine Chance haben, bevor die Leute lieber vom Dancefloor an die Bar gehen, um dort weiter auszuschweifen, hat Nicolas Jaar während der endlosen Wartereien in Backstageräumen, in im Stau stehenden Taxis und auf Flughäfen zwischen Tschenstochau und Tadschikistan anscheinend zur Beruhigung weniger die gamsigen Tracks und wilden Beats der gleichaltrigen Kollegenschaft gehört, sondern sich mit der Musik der alten Leute fortgebildet. Obwohl die Zeit knapp wird, haben diese es bekanntlich nicht mehr so eilig.

Gemeinsam mit seinem bereits in der Nicolas Jaar Liveband eingesetzten Gitarristen Dave Harrington versucht Nicolas Jaar im Duo Darkside nun, alten Säcken wie den schmockigen Pink Floyd Reverenz zu erweisen. In deren später Dekadenzphase wurden ja gern mit Synthesizern, die über einem Nichts von Grundakkord kreisen, die Helikopter losgelassen - was dann irgendwie bedrohlich klingen sollte. Mit faulem Sprechgesang und mit Delay und Echo verfremdeter, im Zeitlupentempo gespielter Gitarre, zu der wir nicht Angelo Badalamenti und David Lynch sagen, weil wir uns diesen Vergleich für härtere Zeiten aufheben wollen, geht es munter weiter im Altmännerfach. J. J. Cale, der faule Willi aus der Wüste, murmelt und plingploingt ums Eck. Leonard Cohen hat in seinen Notizbüchern noch ein Lied aus der First we take Manhattan-Phase gefunden. Und wenn dann nicht zwischendurch mit Kopfstimme der Soul gefistelt wird, damit es nicht zu langweilig wird, kommen in ungefähr der Hälfte der Lieder über sich stark dem Sunshine Reggae nähernden Tourismus-Beats auch noch fast vergessene Kapazunder der 1980er-Jahre zu Ehren.

Das dänische Duo Laid Back beglückte einst die Welt nicht nur mit dem besagten Sunshine Reggae, sondern auch noch mit den früher allgemein als mindestens verhasst geltenden Welthits White Horse und natürlich dem Bäckersmann, der Brot bäckt. Ungefähr die Hälfte der Zeit, die Darkside auf ihrem Debütalbum Psychic mit Musik vollstellen, ist einzig und allein den Beschwörungen des alten Songs Bakerman gewidmet - ohne diesen allerdings allzu deutlich in die Auslage zu stellen. Man will ja nicht unnötig Tantiemen teilen. Überhaupt stand dieses Jahr bei elektronisch erzeugter Konsensware oft im Zeichen von Bakerman. Zu ungefähr einem Drittel aller auf FM4 laufenden Elektroniktracks kann man über das Brotbacken singen. Das ist ungemein entspannend. Warum auch sollte man sich Musik auseinandersetzen? (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 18.10.2013)