Welcher Weg führt zum Job?

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Postulat I: Theoretisch ist alles möglich - Blogbewerbungen, Twitternachrichten, E-Dossiers, kurze Videos, sich via App im Mobile Recruiting bewerben oder umgekehrt via "active sourcing" von Leuten aus Firmen direkt angesprochen werden. Tatsächlich herrscht aber das Online-Formular von Firmenseite her über die Möglichkeiten der Bewerberkanäle.

Ebenso theoretisch Postulat II: Patchwork-Lebensläufe, längere Auszeiten, viele rasche Wechsel und Kurvengänge als neuerdings problemlos akzeptierte Berufsbiografien. Weil ja die Persönlichkeit mehr zählt als die fachlichen Kompetenzen, fast mehr als der Track-Record. Tatsächlich wird der Konsistenz noch mehr vertraut, ist der Erklärungsbedarf sehr groß, und ob sich dann Chancen eröffnen, hängt von der Aufgeschlossenheit des Gegenübers ab.

Postulat III hat auch (noch) mehr von einer Theorie denn von erlebbarer Wirklichkeit: Ältere (50+) und Wiedereinsteigerinnen haben aufgrund des Fachkräftemangels nun endlich tolle Chancen. Tatsächlich braucht es viel Geschick, Glück und auch die entsprechenden Kontakte, um bei Jobverlust oder Wechselwillen mit 50 noch einmal "im System" Fuß zu fassen. Und Wiedereinstieg ist Teilzeit-Thema (geblieben).

Postulat IV: Alle haben gleiche Chancen, die Besten gewinnen. Klingt gut. Wäre schön, wenn's so wäre. Tatsächlich ist Bauchgefühl der Entscheider dabei, die Tendenz von "Gleich und Gleich gesellt sich gern" . Sogar das Mini-Me-Syndrom, also die Tendenz, Leute einzustellen, die einem selbst recht ähnlich sind in Haltung, Werten, Auftreten. Ja, Netzwerke und Beziehungen zählen auch und sind nicht neutral. So weit zur bedingungslosen Objektivität im Bewerbungsprozess. (Ausnahmen bestätigen bestimmt die Regel). Was helfen da Gesetze für geschlechtsneutrale Stellenausschreibungen, wenn der Auftraggeber des Personalberaters im Hintergrund "keine Frau" sagt? Was helfen Antidiskriminierungsvorschriften, wenn das Unternehmen überzeugt ist, dass dunklere Hautfarbe das bestehende Team zerstören würde? Wie kann dem Gegenüber, das keine Kinder hat, halb so alt ist wie man selbst und frisch im Recruitingjob, klargemacht werden, dass man in den vergangenen 25 Jahren wohl bewiesen hat, was Einsatz, Leistung und Loyalität heißt?

Postulat V: Da nun verstärkt Persönlichkeit gesucht wird, individualisiert sich das Recruitingverfahren. Ja, teilweise, aber dagegen steht der große Automatisierungstrend: Outgesourcte Zentren wie etwa bei IBM in der Slowakei, die Bewerbungen via Social Media gleich vorselektieren und den Rest weiterleiten.

Postulat VI: Unternehmen haben erkannt, dass Bewerber für sie wichtige Markenbotschafter sind, die sie tunlichst gut behandeln sollten. Das spricht sich wohl herum, ist aber noch nicht selbstverständlich. Keine oder nur automatisierte Antworten, unangenehme Verhörsituationen im Assessment und rechtswidrige Fragen gibt es auch noch.

Wunschvorstellung und Realitäten

Postulat VII: Da der talentierte Nachwuchs ausgeht, werden zunehmend Jobs an Menschen angepasst statt Menschen für enge Jobprofile gesucht. Leider nein. Im Großen werden Kandidaten zum Rohstoff, zur Commodity, die international gehandelt wird. Im Kleineren werden überwiegend noch "Stellen" besetzt. Oft ausgeschrieben mit summarisch sehr überfordernden Wunschvorstellungen.

Postulat VIII: Im fortschreitenden Talentemangel, martialisch immer "war for talents" genannt, holen sich schlaue Firmen gute Leute, auch wenn sie nicht unmittelbar Löcher stopfen müssen, weil sie Talentepools aufbauen und für die Zukunft vorsorgen, sich Querdenker, Erneuerer, positive Störenfriede reinholen wollen. Es wäre schön, wenn es großflächig schon so wäre. Tatsächlich ist Rekrutierungspolitik meist sehr kurzfristig, gesucht wird, wenn unmittelbar ein Platz besetzt werden soll.

Alles also ganz schlimm? Falsche Frage. Die angemessenere: Wie kann ich bei diesen Spielregeln zu dem kommen, was ich wirklich will? Da ist der "alte" Weg ein guter: Möglichst viele Informationen über das Zielunternehmen einholen, auch darüber, welche Art der Bewerbung dort gewünscht ist. Den Lebenslauf dahingehend gut überlegt gestalten und nicht "tunen" - das kommt früher oder später nämlich raus. Gleichgesinnte (nach einem Jobverlust oder einer längeren Auszeit) suchen und einander bestärken, ermutigen. Unbedingt Mitstreiter und Empfehler im Umfeld identifizieren. Nicht in Kränkung zurückziehen, sondern bei mangelnder Bewerberkommunikation öfters höflich nachfragen. (Karin Bauer, Karrieren Standards, 8.11.2013)