Alex Murray und Mark Smith alias Gardland aus Sydney bringen die Improvisation in den Techno.

Foto: Jannah Quill

Mit Techno verbindet man gemeinhin nicht das stilistische Mittel der Improvisation. Wiederholung, formale Strenge, hypnotischer Sog zählen zu jener Grundausstattung, die seit 20 Jahren kaum einmal ergänzt oder erweitert wurde. Der Rhythmus, bei dem jeder mitmuss, ist zwar auch eine Basis, auf die Gardland aus Syndney bauen, das australische Duo destilliert aber seine Tracks in länglichen Livesessions, während deren man sich die Bälle lustvoll zuspielt. Alex Murray und Mark Smith stehen dabei nicht allein. Auch in Großbritannien existieren beispielsweise mit den Duoprojekten Concrete Fence und Emptyset oder mit dem Trio Factory Floor Ensembles, die nicht von vornherein auf schlanke Form bei größtmöglicher Wirkung setzen, sondern lieber den Fehler, den Zufall, das Unvorhersehbare in ihrer Musik zulassen und forcieren.

Factory Floor legten vor einigen Wochen ihr titelloses Debütalbum auf dem New Yorker Hipster-Label Death From Above Records vor, der Firma von James Murphy, dem ehemaligen Mastermind des LCD Soundsystem. Concrete Fence besteht aus dem alten radikalen Elektronik-Noise-Wüterich Russell Haswell und dem britischen Dark-Techno-Veteranen Regis, eine erste Arbeit namens New Product (1) in Form einer Twelve Inch liegt auf dem ebenfalls schwer angesagten New Yorker PAN-Label vor: dunkle, lichtabgewandte Böllermusik wird mit Lärm ergänzt und dann im Studio krude ediert, dass man in den Clubs auf dem Dancefloor wohl eher etwas unrund dazu tanzen wird - wenn man dann nicht kurz einmal eine Pause einlegt. Emptyset haben ebenfalls gerade auf dem deutschen Raster-Noton-Label eine ähnlich gelagerte Arbeit namens Recur veröffentlicht. Schwer ächzen die Maschinen unter der Last der Bässe. Auch hier brennt nur die Notbeleuchtung, während jemand versucht, den elektronischen Schaltkästen mit einer Bohrmaschine beizukommen. Verschattete Sounds und Geräusche, die definitiv nicht für lustig machende Wachhaltedrogen, sondern für quälende Dämmerstunden am frühen Morgen gemacht sind, während deren man sich aus den Clubs zu Fuß nach Hause schleppt, weil das Geld fürs Taxi nicht mehr reicht.

Gardland tragen wohl auch aufgrund der Witterungslage in Sydney etwas mehr Sonne im Herzen. Auf ihrem Debütalbum Syndrome Syndrome finden sich bei allen harschen Brüchen und dem somnambulen Ausdruckstanz der Rhythmusprogramme durchaus freundliche Töne.

Gänzlich ohne die obligaten Klappcomputer aufgenommen, rattern, pumpen und ploppen die Maschinen hier nicht im Frühnebel durch die Plattenbauten britischer Vorstädte. Sehr oft bekommt man während der elf Tracks von Syndrome Syndrome die Ahnung, dass irgendwo da hinten hinter den gebrochenen Four-to-the-floor-Beats bald einmal die Sonne aufgehen könnte. Der Abschlusstrack Hell Flur weist daraufhin, dass das englische Wort Hell und der gleichlautende deutsche Begriff zwei Königskinder sind, die sich - sehr selten, aber doch - irgendwo in der Mitte treffen könnten. Während südlich des Himmels die Bässe wummernde Tiefenbohrungen vornehmen und dazu ein Drumcomputer mit HiHat-Effekten zischelt, schwingt sich darüber eine Dreiklangszerlegung freudig in den Morgenhimmel auf. Gardland ist eine weitere sehr, sehr gute Platte des selbstverständlich ebenfalls schwer angesagten New Yorker RVNG-Labels. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 15.11.2013)