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Wein wirkt weniger rasch auf das Gehirn als der kohlensäurehaltige Sekt.

Foto: APA/Karl-Josef Hildenbrand

Wein ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit: bereits vor siebentausend Jahren wurden Weinreben angebaut. Auch Griechen und Römer pflegten schon früh die Tradition des Weintrinkens. Sie hatten sogar ihren eigenen Weingott: Dionysos, auch Bacchus genannt. Das Sprichwort "In vino veritas – im Wein liegt die Wahrheit" geht auf die Römer zurück.

Der römische Historiker Tacitus beschrieb, dass die Germanen bei Ratssitzungen immer Wein tranken, weil sie glaubten, Lügen dadurch keine Chance mehr zu geben. Im Chinesischen heißt es "Nach dem Wein folgt die wahre Rede", auf Persisch gilt das Äquivalent "Bist du betrunken, sagst du die Wahrheit".

Alkohol löst also nach diesem kulturübergreifenden Glauben nicht nur die Zunge, sondern macht hemmungslos ehrlich. Nicht ganz: "Es werden zwar Barrieren abgebaut, aber dass durch Alkoholkonsum die Wahrheit zutage kommt, wäre zu weit gegriffen", sagt der Psychiater Friedrich Wurst von der Christian-Doppler Klinik in Salzburg. Im betrunkenen Zustand mag es leichter fallen, Themen anzusprechen, für die es mehr Mut braucht und die im nüchternen Zustand daher nicht besprochen werden - sämtliche Hemmungen fallen aber deswegen nicht.

Biologische Wirkung

Wer Alkohol trinkt, stimuliert Glücksgefühle. "Pleasure highway" nennen die Ärzte das, was im Gehirn bei Alkoholkonsum passiert. Neuronen setzen Dopamin und Serotonin frei, die auf die mehrere Gehirnareale bis zum präfrontalen Cortex, dem Frontallappen der Großhirnrinde, wirken. Dieser steuert das Sozialverhalten, und damit auch die Kommunikationsfreude.

Welche Menge benötigt wird, um unser Verhalten zu ändern, lässt sich pauschal nicht sagen. Ob jemand im betrunkenen Zustand redefreudiger wird, variiert nämlich von Mensch zu Mensch. "Wie Alkohol genau auf unser soziales Verhalten wirkt, ist sehr komplex und auch von der eigenen Tagesverfassung abhängig", sagt Wurst.

Neben der persönlichen Verfassung zählt natürlich auch, was genau getrunken wird. So wirken etwa Sekt, Champagner oder Cocktails wesentlich schneller auf unser Gehirn als Wein, weil kohlensäure- und zuckerhaltige Getränke vom Körper schneller aufgenommen werden.

Die Offenheit des Gegenübers hängt auch vom individuellen Erbgut ab: genetische Unterschiede und Polymorphismen, also genetische Variationen, spielen dabei eine große Rolle. Asiaten etwa haben ein weniger ausgeprägtes alkoholabbauendes Enzym, wodurch Alkohol rasch seine Wirkung zeigt, während Europäer Alkohol schneller abbauen können.

Placebo-Effekt

Der Einfluss von Alkohol auf unser Verhalten ist nicht nur eine Frage der Biologie, sondern auch psychisch bedingt. Doppelblindstudien haben nämlich gezeigt, dass der Placebo-Effekt von Alkohol nicht zu unterschätzen ist: Jene Probanden, die Alkohol getrunken haben, erlebten eine gleiche oder ähnliche Wirkung wie jene Probanden, die keinen Alkohol konsumierten. "Die Erwartungen, wenn jemand Alkohol trinkt, sind also so hoch, dass in etlichen Experimenten die Beobachter nicht zwischen jenen Probanden, die Alkohol konsumiert haben, und jenen, die nüchtern waren, unterscheiden konnten", sagt Wurst.

So hat eine Studie von französischen Wissenschaftlern etwa gezeigt, dass sich die Selbstwahrnehmung hinsichtlich der eigenen Attraktivität durch den bloßen Glauben, Alkohol getrunken zu haben, ändert. In ihrem Experiment konnten sie zeigen, dass auch jene Probanden, die nur glaubten, alkoholische Getränke konsumiert zu haben, sich ebenfalls attraktiver einstuften wie jene, die tatsächlich unter Alkoholeinfluss standen.

Der tatsächliche Effekt hängt mit den sozialen Vorstellungen zusammen, die mit Alkoholkonsum einhergehen. Womöglich redet der Betrunkene mehr, als ihm lieb ist - die Wahrheit muss deswegen aber nicht ans Licht kommen. (Sophie Niedenzu, derStandard.at, 27.11.2013)