Auf "I Am The Center" finden sich heute vergessene Vertreter der New-Age-Musik.

Foto: Light In The Attic

Peter Davison.

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Alice Damon.

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Don Slepian.

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Constance Demby.

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Heutzutage ist "New Age" natürlich längst zu einem eigenen Geschäftsbereich im Freizeitsegment geworden. Immerhin sollen Menschen, die unter ihren Arbeits- und Lebensbedingungen leiden, zumindest in ihrer Freizeit von einer Möglichkeit des Glücks erfahren, die nicht auf Adrenalinausstoß, Gewinnmaximierung oder den Segnungen des neuesten Taschentelefons beruht. Das ist in unserer Hektomatikwelt natürlich sauschwer. Alles beruht schließlich darauf, dass man, um zu überleben, nicht nur so viel arbeiten muss, dass man im Wesentlichen für nichts anderes mehr Zeit findet - worauf man an Burn-out oder Pumpenversagen verendet. Andererseits wird einem selbst außerhalb des freiwillig oder unfreiwillig verunmöglichten Erwerbslebens ständig eingetrichtert, etwas tun zu müssen. Sei es auch nur: irgendetwas tun!

Kurz gesagt: Die Faulheit und der Müßiggang haben schon bessere Zeiten gesehen. In Hippiezeiten nannte man dies einst vor langer, langer Zeit das Zeitalter des Wassermanns. Etwas später formwandelten diese zu den sogenannten Kreisky-Jahren. Damals wurden die Milliarden noch in desolate Industriebetriebe gepumpt, um uns allen bei Vollerwerb das Freizeitverhalten unserer Wahl zu ermöglichen. Heute verbrennt man das Geld aller für niemanden in den Banken. Und keiner hat Zeit und Geld und Müßiggang. Aquarius und die einst verkündete Sanftheit, die in unsere Welt als Verweigerung kapitalistischer Zwänge einziehen sollten, sind heute weit, weit weg.

Esoterik aus dem Shopping-Kanal O Mystisches Yoga, keltische Schwitzhütten, die Kraft der Bergkristalle, rituelles Trinken bei Vollmond geschöpften Urquellwassers, positives Denken, den Schmerz mit uralten Techniken südskandinavischer Druiden wegatmen, Meditieren für Meditationsverweigerer, die heilende Kraft der singenden Wale, Kreistanzen für Diktatoren, Trommelworkshops gegen Überforderungsdepressionen, das alles dient längst nicht nur als Freizeit-Tool, das man online frühbucht, um Geld zu sparen, das man nicht hat. Die Sprache und die Techniken haben heute längst auch in Werbung oder Interviews mit Mental-Coaches im Spitzensport Einzug gehalten. Was einmal an gesellschaftlichen Alternativen angedacht wurde, kann man sich heute im Esoterikladen um die Ecke kaufen oder sich im Ruf-mich-an-TV-Kanal bestellen.

Die Wurzeln der New-Age-Bewegung liegen selbstverständlich in Kalifornien, deshalb wurden auch hier frühzeitig Geschäfte gemacht. New Age war auch nie eine Bewegung, dafür aber ein hedonistisches Vergnügen vor allem auch für aus der Realität und vor politischen Notwendigkeiten in eine außerirdische Freizeit- und Freiheitswelt Flüchtende. Zu ihrer ersten Hochblüte in den Nachwehen der US-Bürgerrechtsbewegung, den Studentenunruhen, des Vietnamkriegs und schließlich auch dank der Ölkrise, Terrorbedrohung und des Auftauchens von Begriffen wie "Überwachungsstaat" flüchteten sich viele Menschen in selbstgebastelte Idyllen und egozentrische Weltbilder.

Diese beschworen zwar klischeeverdächtig Unicorns In Paradise, Two Souls Dance, Lunar Eclipse, As The Earth Kissed The Moon oder ein allgemein gehaltenes Awakening. Wie die Anthologie I Am The Center: Private Issue New Age Music In America 1950-1990 belegt, auf der diese musikalischen Titel enthalten sind, wurde damals anfangs im Eigenverlag in Kleinstauflage von heute vergessenen Künstlern wie Constance Demby, JD Emmanuel oder Iasos, Laraaji und Aeoliah ein alles andere als dazu exakt passender Soundtrack produziert.

Mit Harfen, Flöten, Gitarren und zunehmend auch synthetischen Klangerzeugern schleichen sich in diese oft am Rande der Formlosigkeit mäandernden Instrumentalstücke auch immer wieder verstörende Zwischentöne ein. In reinen Wohlklang, flauschiges Synthesizerdröhnen, meditative Nachstellungen kosmischer Schwingungen und zart aus dem Klavier in den Endloshall tropfende edle Mollakkorde und Engelschöre mischen sich sehr oft auch bedrohliche Nuancen. Sie verweisen nicht nur auf spätere elektronische Avantgardisten des Techno. Wir hören auch, dass reine Harmonie und Glückseligkeit in dieser Welt noch nicht zu haben waren. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 6.12.2013)