Der Grand-Hotel-Speisesaal des Bristol in Wien: Dass hier nun eine "Lounge betrieben wird, erkennt man nur an Details.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Kalbsbeuschel mit gebackenem Topfenknödel: gummig-zach bis letschert

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Erstmals seit Jahrzehnten prasselt im Marmor-Kamin des Hotel Bristol wieder ein Feuer. Auch der Stuck am Plafond - für Jahre unter einer Zwischendecke verborgen - wurde minutiös renoviert, die Holztäfelung sowieso.

Selbst die historischen Luster aus Kristall und Schleifglas hängen nun wieder vollzählig im Saal - sie waren zuvor über diverse Räume des Hotels aufgeteilt. Der dicke Teppich ist zwar ein ziemliches Fusselmonster, fügt sich mit seinem geometrischen Muster aber gut in die neue, auf Art déco getrimmte Inneneinrichtung.

Geschmacksverirrung

Alles in allem wirkt das sehr comme il faut, der Reinstitutionalisierung des Opernsoupers nach erfolgreichem Absitzen der Abovorstellung scheint nichts im Wege zu stehen. Nur die engen Kaffeehaustischerln ohne Wäsch' schauen in derart explizit feudalem Rahmen ein bisserl deplatziert aus. Sie sind wie auch die Polster aus Tigerprint auf den samtenen Sofas der Neupositionierung des wiedereröffneten Restaurants als "Lounge" geschuldet: Da gehört derlei augenzwinkernde Geschmacksverirrung offenbar dazu.

Dass die Gäste sich ihre Mäntel einstweilen noch über die Sessellehne hängen müssen, ist aber nicht der neuen Lässigkeit einer alten Hotel-Tante geschuldet - die Garderobe war zur Wiedereröffnung schlicht nicht fertig geworden. Die Damen und Herren vom Service irrlichtern einstweilen noch planlos durch den langgestreckten Saal - wer sein Besteck nicht fix in der Hand hat, dem wird der halb volle Teller schon mal fürsorglich abserviert: "Can I take this?" Dabei sind die Portionen keineswegs so bemessen, dass sich Z'sammessen zur Herausforderung auswachsen könnte.

Kalbsbeuschel mit gebackenem Topfenknödel etwa (siehe Bild), in der Karte als Zwischengericht um 15,50 Euro angeführt, besteht aus einem Minimalschöpfer Ragout samt ebensolchem Knödel: gerade genug, um den Tellerboden zu benetzen. Das allein wäre es nicht - die Art, wie ausgerechnet hier damit umgegangen wird, wo das Beuschel durch Reinhard Gerer einst vom Tschocherlessen zu einem Urmeter der neuen Wiener Küche hochgekocht wurde, stimmt aber traurig: In rustikale Breitstreifen geschnitten, von gummig-zacher Konsistenz, mit einem Knödel versehen, der auch nach dem Bad in der Fritteuse letschert wirkt.

Sechs Ravioli, eine Hauptspeise

Der Fischgang aus dem Menü hat auch bestenfalls Vorspeisendimension, ist zum Glück aber deutlich besser zubereitet: Zwei Bissen vom tadellos gedämpften Seesaibling mit etwas Karotte und einem kardamomduftigen Gewürzfond, dem Sago-Perlen Konsistenz verleihen.

Topinambur-Ravioli mit Rucola und Kernöl firmieren als Hauptspeise, sie geraten bissfest und sind gut kombiniert, die gezählten sechs Teigtascherln reichen aber auch nur als Hungerhakenportion.

Zumindest beim "Steinbutt auf einem Winterspaziergang" sitzt dann (bis auf den Titel der Kreation) alles: meisterlich gegarter, wirklich frischer Meeresfisch, der mit "Schuppen" vom Stangenzeller dekoriert und allerhand herbstlichem Gemüse kombiniert ist. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 20.12.2013)