Bild nicht mehr verfügbar.

Uralte DNA gibt Aufschlüsse über das Paarungsverhalten unserer Verwandten: Neandertaler betrieben auch Inzucht. Der Denisova-Mensch indes paarte sich mit einer unbekannten Population.

Foto: AP Photo/Martin Meissner

Fundgrube der Paläanthropologie: Die Denisova-Höhle im Altai-Gebirge liefert Wissenschaftern immer wieder Material für neue Erkentnisse.

Foto: Bence Viola

Leipzig/Wien - Wenn es eine Fundstätte gibt, deren Fossilien zuletzt unser Verständnis der Menschheitsgeschichte nachhaltig verändert haben, dann ist das eindeutig die Denisova-Höhle im sibirischen Altai-Gebirge. Das wiederum liegt daran, dass es in der Höhle nie wärmer als sieben Grad Celsius wird - allem Anschein nach ideale Temperaturen, um uralte DNA zu konservieren.

2008 fanden Forscher in der Höhle einen gerade einmal sieben Millimeter langen Fingerknochen, der 40.000 Jahre alt war und noch jede Mange an intakter DNA enthielt. Ihre Analyse führte 2010 zu einer Sensation: Paläogenetiker um Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie in Leipzig fanden heraus, dass es vor 40.000 Jahren neben dem modernen Menschen und dem Neandertaler noch eine dritte, längst ausgestorbene Subspezies gegeben haben muss.

Der neue Verwandte erhielt den Namen "Denisova-Mensch", und weitere Analysen zeigten, dass sich seine Wege von denen des Neandertalers vor etwa 400.000 Jahren trennten. Zudem entdeckten die Forscher, dass es einen Genfluss vom Denisova-Menschen zu den heutigen Bewohnern Ozeaniens gegeben haben dürfte.

Im Jahr 2010 fanden russische Archäologen in der Höhle ein weiteres kleines Fossil, das sich als höchst aufschlussreich erweisen sollte: den Zehenknochen einer Neandertalerfrau, die rund 10.000 Jahre vor dem Besitzer des Fingerknochens die Höhle genützt hatte. Die ausgezeichnet erhaltene DNA dieses Knochens haben abermals Forscher um Svante Pääbo in Leipzig in bisher einzigartiger Detailliertheit analysiert - mit abermals erstaunlichen Erkenntnissen.

Zum einen fanden die Forscher heraus, dass die Eltern dieser Neandertalerfrau nahe Verwandte waren, also entweder Onkel und Nichte, Tante und Neffe oder Großcousin und Großcousine. Die im Fachblatt "Nature" publizierten Analysen ergaben außerdem, dass die Populationen der Neandertaler klein waren und Inzucht vermutlich häufiger vorkam.

Die detaillierten Genom-Sequenzen bringen zum anderen aber auch präzisere Erkenntnisse über die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Neandertalern und heute lebenden Menschen sowie ausgestorbenen Menschengruppen, wie Kay Prüfer vom MPI in Leipzig erläutert. Demnach stammen etwa 1,5 bis 2,1 Prozent des Genoms von heute außerhalb Afrikas lebenden Menschen vom Neandertaler.

Besonders aufregend ist aber die dritte Entdeckung: Die Neandertaler-DNA unterscheidet sich vom Denisova-Genom dadurch, dass Letzteres zusätzlich die DNA eines unbekannten Vertreters der Gattung Homo enthält. Mit anderen Worten: Die Denisova-Menschen müssen Sex mit einer Population gehabt haben, die bereits existierte, bevor sich Neandertaler, Denisova-Menschen und moderne Menschen getrennt hatten.

Die Forscher vermuten, dass es sich dabei um Homo erectus gehandelt haben könnte. Vielleicht hält ja die Denisova-Höhle entsprechende weitere Funde bereit. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 19.12.2013)