Ein Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Poesie: Gunter Falk (1942 bis 1983).

Foto: Ritter-Verlag

auf der waagschale

der hand als leergebinde

das gewicht der welt

In der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember jährt sich der Todestag des Grazer Literaten Gunter Falk zum dreißigsten Mal. Sein poetisches Werk, die zu seinen Lebzeiten erschienenen Bücher Der Pfau ist ein stolzes Tier, Die Würfel in manchen Sätzen und Die dunkle Seite des Würfels, liegt, ergänzt mit Texten aus dem Nachlass, verstreut Veröffentlichtem und drei Essays zu Kultur und Literatur, in dem Sammelband LAUF WENN DU KANNST, herausgegeben von Günter Eichberger, im Ritter-Verlag vor.

Als Mitte der Siebzigerjahre unter dem Titel Wie die Grazer auszogen, die Literatur zu erobern Bilanz über den Aufbruch der Literatur aus dem Umkreis des Forum Stadtpark und seiner Zeitschrift Manuskripte gezogen wurde, wunderte sich der Kritiker von Times Literary Supplement von einem Gunter Falk, "a virtually unknown figure", zu lesen. Dem Rezensenten dürfte nicht bekannt gewesen sein, dass der Autor im lokalen Bereich Kultstatus als Avantgardist und überregional bei Kennern der experimentellen Literatur großes Ansehen genoss.

Mehr als fünfunddreißig Jahre später hat sich daran wenig geändert. Falk ist über Graz hinaus kaum bekannt. Am frühen Tod des Autors, er ist 41-jährig verstorben, wird es nicht gelegen haben, ein solcher kann bekanntlich zur Legendenbildung beitragen. Die Gründe dafür sind wohl in der Nichtpräsenz seiner Texte und der geringen Beachtung durch die Literaturwissenschaft und Literaturgeschichtsschreibung, beides zweifellos aber auch die Folge einer gewissen Ratlosigkeit gegenüber einem schwer Einzuordnenden, zu suchen.

Der promovierte (Thema: Spielsysteme und Spielverhalten) und habilitierte Soziologe Falk war ein Individualist, er war in Zeiten heftiger ideologischer Streitigkeiten ein entschiedener Gegner aller Ideologien und legte in seinem Text Credo folgerichtig ein umfassendes, sich selbst einschließendes Nichtglaubensbekenntnis ab. Er war ein Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Poesie, zwischen elitär avantgardistischem Anspruch und Neigung zur Popkultur, zwischen besoffenen Aktionen und wachem Realitätssinn, mit hier wie dort verschwimmenden Grenzen.

In seiner Dichtung schlagen sich einerseits sein theoriegeleitetes Interesse am Spiel, andrerseits seine eigene existenzielle Erfahrung und sein Hang zum Anarchischen nieder. Falk selbst hat sein Grenzgängertum in seiner Vier - Welten - Theorie definiert: In der ersten Welt sei er Soziologe, in der zweiten Welt Dichter, die dritte Welt sei die des Rausches - und über die vierte Welt könne man nichts sagen.

Falks Welten sind aufgeladen mit einer Spannung zwischen der Suche nach einer Halt gebenden wissenschaftlichen Theorie und einer poetischen Form, die sich auch in zahlreichen Haikus niederschlägt, jener Gattung, mit deren streng geregelter Kürze Falk häufig seine großen existenziellen Themen, das "Spiel seiner drei wichtigsten Protagonisten: Frau, Tod, Alkohol" (Wolfgang Bauer), formal bändigte. Aber auch die Flüchtigkeit des Spiels, das Happening, das Improvisatorische des Jazz waren Falk wichtig. Legendär sind seine Auftritte in der sogenannten "Dunkelkammer" des Forum Stadtpark oder seine letzte Lesung gemeinsam mit der Jazz-Band Neighbours drei Tage vor seinem Tod, in der er den Musikern durch seine spontane Agilität all ihr Können abverlangte.

Das Flüchtige und doch strengen Maßstäben Unterworfene, das den Poeten Gunter Falk ausmacht, kann in einer Ausgabe von Texten kaum vollständig erfasst werden, ist ihnen aber unverkennbar eingeschrieben. Schon die Titel seiner beiden "Würfel - Bücher" verweisen auf das Aleatorische, die Offenheit für das Unerwartete, das Unvorhersehbare der gewürfelten Zahl trotz des Geregelten des Würfels.

Das Spielerische, das widersprüchliche Wirklichkeitsbezüge und so utopische Ausrichtungen zulässt, steht im Vordergrund in Falks Schaffen, der Begriff des Experimentellen drängt sich auf.

in meiner dämmerung

versinke ich

ziegelrot

wie frisches lungenblut

hinter den hügeln

meiner großhirnrinde

Zweifellos orientiert Falk sich, obwohl aus dem Forum Stadtpark kommend, an den sprachoperativen Unternehmungen der Wiener Gruppe. In seinen theoriegeleiteten sprachlichen Versuchsanordnungen greift er in die Syntax und Morphologie, in verschiedene Textsortenstrategien ein, arbeitet mit Repetitionen und Permutationen oder spielt mit den Erwartungen der Leserschaft an narrative Zusammenhänge. In LAUF WENN DU KANNST finden sich neben artifiziellen Prosatexten auch solche, in denen eine deutlich autobiografische Züge tragende Figur Franz erscheint und das Leiden an der Existenz allgemein oder an der selbstzerstörerischen Neigung zum Alkoholismus thematisiert werden, sowie zahlreiche Gedichte, in denen die Unauflösbarkeit von Antagonismen und zugleich die Sehnsucht nach einem utopisch Anderen eingefangen sind.

die zukunft ist dein

abtritt vom schönen altern

im protoplasma

Diese Texte, dieses Buch müsste(n) Teil des Protoplasmas jedes sprachneugierigen Lesers sein. (Wilhelm Huber, Album, DER STANDARD, 21./22.12.2013)